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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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wie sie in sein Leben eintreten. Daß es damit um alles geht, meint der Romanschreiber verstanden zu haben und rätselt doch, woraus alles besteht. Zum Beispiel hat er den Artikel zum Libanonkrieg in einer anderen Datei verfaßt, obwohl er genauso ein Zeugnis wäre wie die Begegnung mit Ursula. Er berichtet so kalt von seiner Ehe, daß er sich schämen würde, wenn jemand es läse, und schweigt sich doch über den Inhalt der Konflikte aus, vermeidet jedenfalls die Details, verweigert Angaben zu den Gründen und würde auch keine andere Frau anführen, wenn er an sie dächte, oder nur eine Frau, die erfunden wäre wie eine Direktrice zum Beispiel. Morgen wird er die restlichen Kartons ins Büro tragen, das vielleicht doch keine Wohnung wird. Es muß doch noch anderes geben als immer nur Hölderlin.
    Am Mittwoch, dem 16. August 2006, sucht der Romanschreiber um 10:35 Uhr einen neuen Platz für den Bürocontainer, weil an der Wand, wo der Container bisher stand, weitere Regale angebracht werden sollen, um die Bücher unterzubringen, die im Keller lagen, seit er vor vielen, vielen Jahren mit der Frau zusammenzog, die er noch immer liebt. Mit Hilfe des Studenten, der ihm gelegentlich aushilft, hebt der Romanschreiber die Tischplatte hoch und ersetzt einen der beiden Malerböcke, die der Schreiner trotz seines Alters so freundlich vom Baumarkt mitbrachte, durch den Container. Da ein Container nicht die Höhe eines Malerbocks hat – wie viele Zentimeter der Unterschied beträgt, mögen Sie im Baumarkt überprüfen, ein gewöhnlicher Bürocontainer ohne Rollen neben einem Malerbock –, ist die Platte allerdings schief. Mit der Dünndruckausgabe von Jean Pauls Werken, die so viele Jahre schon im Karton gelegen hatte, daß der Romanschreiber überrascht war, sie zu besitzen, stellt er die Balance her und beeindruckt mit seinem genialen Einfall den Studenten, der mit Hilfe der Wasserwaage bestätigt, daß ein gewöhnlicher Bürocontainer zusammen mit dem ersten Band der Dünndruckausgabe von Jean Pauls Werken exakt die Höhe eines Malerbocks hat. Während der Student das Regal anbringt, holt der Romanschreiber die fünf anderen Bände von Jean Pauls Dünndruckausgabe aus dem Karton. Dabei sticht ihm ein Titel ins Auge, Selberlebensbeschreibung , so daß er unweigerlich darin zu blättern beginnt. Nicht noch ein Hölderlin, stöhnt der Romanschreiber und stellt Jean Paul ins Regal, das der Student inzwischen angebracht hat. In der Wirklichkeit könnte Jean Paul dort bleiben, bis der Romanschreiber aus dem Büro wieder auszieht. In dem Roman, den ich schreibe, ist Jean Paul damit aufgetreten und muß er noch eine Bedeutung erhalten. »Wenn schon das Interesse einer Untersuchung auf einem fortwechselnden Knötchen-Knüpfen und -Lösen beruht«, heißt es in den »Regeln und Winken für den Romanschreiber« der Vorschule zur Ästhetik , die der Romanschreiber besser gelesen hätte, bevor er den Roman begann, den ich schreibe, »so darf sich noch weniger im Roman irgendeine Gegenwart ohne Kerne und Knospen der Zukunft zeigen. Jede Entwicklung muß eine höhere Verwicklung sein. – Zum festern Schürzen des Knotens mögen so viele neue Personen und Maschinengötter, als wollen, herbeilaufen und Hand anlegen; aber die Auflösung kann nur alten einheimischen anvertraut werden.« – Ist dir das mit dem Buch nicht zu wackelig? fragt der Student, der dem Romanschreiber gelegentlich aushilft.
    Â 
    Als Tante Lobat starb, hätten wir nicht vermutet, daß Herr Madani sie lang überlebt. Wozu auch? hätte ich mich fragen können. Alt, krank und abgemagert war er genug, um sich den Tod verdient zu haben, ein anderes, ärmeres Geschöpf als der rundliche Herr, an dessen Schulter sich die lachende Tante Lobat auf dem gerahmten Bild lehnt, das über ihrem Bett hing. Die letzten Jahre hatte ihn die Sorge um seine Frau, deren Hiobsqualen ich im Schrecken Gottes schildere, zugleich niedergedrückt und gestützt. Er mußte funktionieren, und er funktionierte, ächzend zwar mit der Zeit und auch mal leise stöhnend, aber er funktionierte. Zusammen mit den beiden Kindern und der Schwiegertochter sorgte er gewissenhaft für Tante Lobat, die im früheren Kinderzimmer lag. Den Boden hatte Herr Madani weiß kacheln, die Wände streichen lassen und das elektrisch verstellbare

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