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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Der letzte Moment, wie meine Cousine ihn mir schilderte: Er atmete tief durch. – Riechst du das, Kind? fragte er seine Tochter, die ihr Ohr an seinen Mund gelegt hatte, riechst du die Luft? Er starb drei Tage nach dem Frühlingsfest und wurde begraben bei herrlichstem Wetter, nicht zu warm, nicht zu kalt. Niemand fror, niemand schwitzte.

In der Nacht druckte der Romanschreiber zum ersten Mal sein Totenbuch aus, für das er längst einen anderen Namen mit sich trägt. Um Ihnen eine Steilvorlage zu geben, falls Ihnen der Roman mißfällt, den Sie lesen: Abgesehen von den Kapiteln selbst, die mal besser, mal schlechter gelungen und eben deshalb fragwürdig sind, daß sie die Toten literarischen Kriterien unterwerfen, ist der Romanschreiber soweit zufrieden. Allerdings begriff er nach einigen Seiten, daß er nicht zurückblicken darf, und warf die Blätter ins Altpapier. Er würde sonst aus der Erfahrung mehr lernen, als es im Leben gelingt, durchaus im kleinen: Wiederholungen vermeiden, das Gelungene ausbauen, Irrwege nicht fortsetzen. Statt dessen nagt weiter der Gedanke, wem er die Datei schicken könnte, um eine weitere Stimme einzuführen. Die Reaktion, wie immer sie ausfiele, wäre Teil des Romans, den ich schreibe: Was immer Sie sagen, kann gegen ihn verwendet werden. Der Romanschreiber stöpselt am Freitag, dem 11. August 2006, um 11:23 Uhr das Telefonkabel in den Laptop, hängt um 11:25 Uhr die Datei an die E-Mail und klickt im Namen Gottes um 11:27 Uhr auf die Taste zum Absenden. Oh, das dauert, o Erbarmer, o Barmherziger. Was denn jetzt? Nein, es geht gar nicht, teilt der Laptop um 11:32 Uhr mit. Wahrscheinlich wegen der Photos ist die Datei zu groß, um sie über die Analogleitung zu versenden. Der Verleger in Zürich, der gar nicht anders könnte, als an die Verwertung zu denken, wäre als Leser ohnehin ganz verkehrt. Gepriesen sei Gott, Herr der Weltwohner, König des Gerichtstags.
    Damit er mit dem Roman fortfahren kann, den ich schreibe, ändert er für die anstehende Rede vor Schweizer Unternehmern den Titel, weil er die Rede vor deutschen Versicherern über Europa wiederholen wird, statt über »Wir und der Islam« zu sprechen, wie es die Schweizer Unternehmer vorsahen. Verträte er das Wir, wäre er kaum eingeladen worden, aber das bedeutet auch bei einem Monatsgehalt Honorar nicht, daß er den Islam gibt. Lieber begeistert er sich für Europa, als sich für den Terrorismus zu schämen, zumal als Wir der Chefredakteur besetzt ist, der in keinem Leitartikel den Islamfaschismus ausläßt. Auch von den Schweizer Unternehmern wird das Wir verlangen, den Anfängen zu wehren, und dabei jeden Blickkontakt mit dem Islam vermeiden, der erste Reihe Mitte in der Klemme sitzt. Wenn das Wir wieder alles gesagt haben wird, was doch wohl noch gesagt werden darf, werden die Unternehmer den Islam, der hoffentlich nicht wieder beleidigt ist, aufs Podium bitten, damit Wir und der Islam kritisch kopulieren. Beim Bankett werden diejenigen Unternehmer, die den Islam als Tischnachbarn gezogen haben (Aufpreis?), ihn für seine engagierte Rede loben, die zum Nachdenken anrege, und ihn trotz der Bedrohung, die sein Faschismus darstellt, freundlich nach seiner Heimat fragen und ob er zurückkehren wolle. Daß seine Heimat Siegen in Südwestfalen ist, wohin er bestimmt nicht zurückkehren will, wird der Islam wohlweislich verschweigen, weil er bei einem Monatsgehalt Honorar nicht gleichzeitig Wir sein kann. Zuvor werden die Unternehmer bereits halb überrascht, halb erleichtert registriert haben, daß der Islam Wein trinkt, also gar kein echter Islam ist, sondern gemäßigt, sonst würden sie sich nicht trauen, ihn so unbefangen zu befragen, schließlich muß man seit den Karikaturen zumal in der Schweiz vorsichtig sein, wo viel arabisches Geld liegt und das islamic banking blüht. Doch, doch, ich bin hundertprozentig, will der Islam schreien und zum Beweis seine Hose herunterlassen: Nicht nur die Minarette, wie das Wir warnte, nein, auch unsere Schwänze sind Raketen! Ist der Bann einmal gebrochen, wird sich eine Unternehmergattin mit Sicherheit erkundigen, ob seine Frau ein Kopftuch trägt. Ja! würde er dann am liebsten rufen, sogar Tschador, ebenso die siebenjährige Tochter, versteht sich, und saufen tue ich Ihren erlesenen Wein nur, weil ich taqiya übe. Meine Frau ist noch fanatischer, Sie glauben es nicht,

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