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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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mit der U-Bahn zum Steuerberater – wenn er schon mal in Köln ist. Beim Umsteigen traf er eine Bekannte, die mit ihm den Anschluß verpaßte, da er einen Anruf erhielt, der ihn erstarren ließ, und sie so höflich war, nicht ohne Abschied in die Bahn zu steigen: Die Arzthelferin teilte mit, daß die Samenmenge nicht ausreiche, um sie für die Reproduktion zu verwerten, und er eine weitere Spende abgeben müsse. Als er aufgelegt hatte, konnte er der Bekannten nicht erklären, was ihn schockierte, nicht einmal eine Ausflucht fiel ihm ein. Hatte er nackt in der Schöpfungszelle noch seinen Gleichmut bewahrt, merkte er jetzt, wie er schwankte. Er schwankte zum Steuerberater und von dort zu einem Vortrag vor Unternehmenserben, der viel zu gut bezahlt war, um aus diesem oder jenem Schamgefühl abzusagen, die Fragen im Rahmen des Grundgesetzes mit Tendenz zum Deutschnationalen, zugleich merkt man ihnen die internationalen Schulen an, die Geschäfts- und exotischen Urlaubsreisen, viele der Firmen leben vom Export, auf Einwanderung können wir nicht verzichten, und alle nickten, wenn in meinem Betrieb noch jemand hart arbeitet, sind es die Türken, sagte ein anderer, als spräche er über die Vorteile der Sklavenhaltung. Fürs Bankett ließ sich der Samenspender entschuldigen, kaufte auf dem Nachhauseweg Abendbrot ein und rang weiter um Fassung, todmüde, daß er um sieben hätte schlafen gehen können und es um zehn ohne Abendbrot tat. Er hat keine Ahnung, wer Sie sind, Sie großgeschrieben, ob Sie ihn persönlich kennen und vielleicht deshalb den Roman bis hierhin gelesen haben, den ich schreibe. Sollte es sich um keine Datei mehr handeln, die Sie auf einem Computer öffnen, oder einen Ausdruck auf losen Blättern, sondern um ein Buch, ein richtiges Buch bei einem Verlag mit Umschlag und allem, sollte der Roman, den ich schreibe, also bereits angenommen, lektoriert, bearbeitet, korrigiert, gesetzt, gedruckt und von Menschen, die etwas von Literatur verstehen, für lesenswert befunden worden sein, werden Sie die Angst nicht nachvollziehen können, die den Romanschreiber in jedem Absatz beherrscht, die Angst, ein Versager wie in der Schöpfungszelle zu sein, sich in Raserei gequält, aber den Becher falsch gehalten zu haben, so daß seine klebrige Flüssigkeit nur den Teppichboden verschmutzt. »Nichts tut weher, als einen mäßigen vernünftigen Menschen, ders sogar in Leidenschaften blieb, im poetischen Unsinn des Fiebers toben zu sehen«, spottet Jean Paul, den der Romanschreiber am Vorabend aus dem Keller heraufgeholt. Daß der Verleger ihn aufgegeben hat, war ein Knüppelschlag, als er es endlich kapierte, nicht in die Knie, nicht in den Magen oder in die damals noch zwei vorhandenen Hoden, sondern mit voller Wucht auf den Schädel. Weil er nicht anders kann, rubbelt er weiter, als sei nichts gewesen, um Sie nicht länger mit seinen Zweifeln zu belästigen, die er oft genug erwähnte. Wenigstens hat er jetzt gelernt, denkt er am Samstag, dem 17. Mai 2008, um 14:34 Uhr, da er den gestrigen Schock, wie man literartherapeutisch so sagt, zu verarbeiten versucht, wenigstens hat er gelernt, in welchem Winkel er den Eimer zum Wischmop halten muß.
    Ohne Großmutter zu fragen, hat Großvater meine Mutter nach seiner Tante benannt. Zwischen den Eheleuten muß es darüber zum Streit gekommen sein. Abgesehen davon, daß Großmutter die Eigenmächtigkeit ihres Mannes erboste, fand sie den Namen scheußlich. Sie wollte ihrer Tochter einen modernen und also persischen Namen geben, keinen arabischen und also islamischen wie im Mittelalter üblich. Sie einigten sich darauf, daß die Mutter einen persischen Rufnamen erhielt, den Großmutter aussuchte. Obwohl von ihren Eltern so jung verheiratet, scheint sich Großmutters Selbstbewußtsein nicht erst in Frankreich bis in verschlossene Zelte Bahn gebrochen zu haben. Photos bezeugen, wie hübsch sie war, helles, sehr schmales Gesicht mit einer feinen Nase, grüne Augen, hellbraune lange Haare – gerade in Isfahan, wo die Frauen dunkler und stämmiger sind als anderswo im Iran, fiel ihre Erscheinung auf, erst recht neben ihrem deutlich kleineren und älteren Mann mit dem kugelrunden Kopf. Die früheste Erinnerung der Mutter: Die Großeltern amüsieren sich über ihr quietschendes Lachen. So süß wie sie aussah, etwas pummelig, rotwangig und mit einem

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