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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Zelle ist fensterlos, jedoch mit ungefähr zwei mal drei Meter größer als die Besenkammer des Urologen, wo er zuvor einen weiteren Becher mit Urin füllte, zusätzlich eine eigene Toilette mit Stoffhandtüchern, alles eine Spur aparter als selbst in modernen Großstadtpraxen üblich, die verchromten Fußleisten, der bläuliche Teppichboden (ohne Flecken!), der Kleiderständer nicht aus dem Katalog für Praxiseinrichtungen. Das Ambiente, so hilflos es ist, scheint medizinisch geboten, an den Wänden erotische Kunstphotographie, weibliche Brüste in Orange, weiblicher Rücken in Rot, männliche Hand vor der weiblichen Scham, weiblicher Mund in Ekstase (und was, wenn er schwul wäre?). Offenbar auf den Zentimeter genau in der Mitte der Schöpfungszelle steht ein Bauhaussessel, der beim Betreten die Assoziation eines elektrischen Stuhls hervorrief, davor ein kleiner Tisch mit seiner Allmacht und die Ausgaben April und Mai 2008 eines Männermagazins drauf. Das Abonnement läßt sich mit Sicherheit von der Steuer absetzen; selbst das Finanzamt wird einsehen, daß man zur Schöpfung ein Mindestmaß an Ambiente benötigt, mindestens Pornographie und verchromte Fußleisten. Ein Zettel, der auf den Magazinen liegt, erklärt in Plastik eingeschweißt, was der Samenspender zu tun hat: Hände und Glied mit der Desinfektionsseife waschen, den Becher, weil er steril ist, möglichst nicht von innen berühren. Braucht er für die Ejakulation länger als fünfundvierzig Minuten, muß er an der Rezeption Bescheid geben, da andere Samenspender warten. Vielleicht hemmt ihn die Hose, die sich über den Knöcheln staut, hofft er, hemmen ihn Socken und Hemd, und zieht sich seufzend aus, stopft die Socken in die Schuhe, legt die Unterhose auf dem Rucksack ab, hängt die übrigen Kleidungsstücke an den schmucken Ständer, der sich ebenfalls zur Hinrichtung eignete, falls es auf dem Stuhl nicht gelingt. Anschließend setzt er sich wie Gott ihn erschuf auf die Sesselkante und klappt das Pin-up-Girl des vorigen Monats auf, das so steril ist wie der Samenspendebecher von innen. Du mußt verschwinden, sagt er sich, mußt alles vergessen, stell dir vor, du seiest weit weg. Also lehnt er sich zurück und schließt die Augen. Die zärtlichen Phantasien, mit denen er die etwaige Zeugung später noch am ehesten verbinden möchte, bestehen nicht gegen das Leder, das vor ihm bereits Hunderte anderer Männer am Rücken, am Gesäß und unter den Oberschenkeln gefühlt haben. Und dann der Becher: Wie steht er als Schöpfer da mit seinem Geschlecht in der rechten und einem Plastikbecher in der linken Hand, als seien es Wischmop und Eimer? Erst als er sich Bilder von Zwangssituationen vorstellt, die seiner Lage entsprechen, scheint sich in der rechten Hand etwas zu tun. Er öffnet die Augen, um sich zu vergewissern, ob sein Opi wirklich steht, blickt in die fensterlose Zelle mit der erotischen Kunst an den Wänden und den Ausgaben April und Mai 2008 des Männermagazins auf dem Tisch, blickt zwischen linker und rechter Hand hin und her, schon neigt sich sein Opi vornüber, als wolle er in den Eimer erbrechen. Bereits beim Urologen brauchte der Patient trotz seiner Blasenschwäche, die einmal im Leben hätte nützlich sein können, so lange, daß ihn alle anstarrten, als er die Besenkammer endlich verließ. Mental ist er stabil, nimmt es sportlich, dabeisein ist alles, dabeisein, durchhalten und möglichst unter fünfundvierzig Minuten bleiben, sonst muß er sich erst wieder anziehen, um bei der Rezeption um Verlängerung zu bitten und stillschweigend um Verständnis. Am besten, er klappt jetzt mal die Allmacht zu.
    Da er nicht wieder den Fehler begehen wollte, die Augen zu öffnen, als sich in der Rechten endlich etwas regte, vergaß er die linke Hand und hätte beinah den Becher zu spät ans Geschlecht geführt. In der Hast bedachte der Samenspender das physikalische Dilemma nicht: Die klebrige Flüssigkeit spritzt nach oben, die Schwerkraft zieht nach unten – in welchem Winkel hält er nun Becher und Geschlecht? Die paar Tropfen genügen, vertraute er auf den medizinischen Fortschritt und säuberte den Teppichboden, dessen Blau nicht so zweckdienlich ist, daß es steuerlich auch noch begünstigt werden sollte. Nachdem er zu Hause geduscht hatte, wie es das islamische Recht verlangt, fuhr er

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