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aus Islamfaschismus ist sie sogar zur Säuferin geworden. Den Tischnachbarn wird er nicht erklären müssen, daà taqiya die religiöse Pflicht jedes Muslims bedeutet, sich vor Ungläubigen zu verstellen, da das Wir den Begriff in seinem Vortrag übersetzt und islamwissenschaftlich gedeutet haben wird. Was den Islam kühlen Kopf bewahren lassen wird, so daà er weiterhin höflich und vor allem so lobenswert engagiert Rede und Antwort steht, statt wegen der Frau zu heulen, ist nicht nur das Monatsgehalt Honorar. Als zusätzliches Opiat nimmt er stets das Andenken der Eltern und mehr noch des GroÃvaters, der ihm als Kind den Islam zum Vorbild gab, aber nie verwand, daà der Schwiegersohn die älteste Tochter nach Deutschland entführt hatte statt nach Paris. Gestern zeigte er der Tochter Photos ihrer Vorfahren, aufgenommen an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert. Alle trugen das knöchellange Gewand, in der Mitte immer einige mit Turbanen und langem Bart, Mullahs eben, Ajatollahs sogar: Da kommen wir her, sagte er. Dort sind die Anfänge, die das Wir gemeint haben muÃ. Abgesehen davon, gibt es noch einen anderen Grund, nach St. Moritz zu fahren. In der Nähe liegt das Grab von Claudia Fenner, an dem er noch nicht gebetet hat.
Bevor er die Tochter von der Schule abholt, wirft er den Roman, den ich schreibe, am Montag, dem 21. August 2006, um 12:40 Uhr in den Briefkasten. Morgen wird er auf dem Tisch des Bildhauers und dessen Frau in München liegen, der »Gnädigen Frau«, wie der Freund aus Köln sie auf persisch anredet, und sich noch mehr sorgen. Als sein Büro noch in der Wohnung war, wich der Freund manchmal nach München aus. Mit seiner schönen, knurrenden Stimme, die Vokale bayrisch verdunkelt und so langsam, daà es wie zelebriert wirkt, obwohl es nur sein normales Sprechtempo ist, las der Bildhauer abends die neuen Seiten eines Romans vor, wie der Freund ihn früher schrieb. Die Gnädige Frau war selbst dann fürs Lob zuständig, wenn keins zu vergeben war. Ihr Verlieben stellt der Freund sich immer als SchwarzweiÃfilm vor, der Satanskerl aus dem niederbayrischen Dorf, Wirtssohn oder Verwandtes, und die Münchner Kunststudentin, bildschön und aus besten orientalischen Verhältnissen, die sich auf einem Feld begegnen, am besten im Winter, wegen der Bildkontraste.
Die Freundin, die Bahai ist, drängt ihn, das Gebet zu verrichten. Soweit er es im Räderwerk der täglichen Abläufe merkt, das er der Tochter wegen am Laufen halten muÃ, ist die Lage prekär. Womöglich in zwei Wochen bereits geht, iÃt, furzt, gähnt, klagt, motzt, schnarcht die Frau wieder in der Wohnung, und alles, was er voraussieht, sind verschiedene Varianten eines Desasters, für das es keinen Rückfall braucht. Für die Tochter ist schon das Bisherige zuviel, wie sich gestern abend erwies, als er ihr abends um zehn nicht erlaubte, bei der Frau anzurufen. Er unterstellte der Tochter, die Sehnsucht als Alibi einzusetzen, um nicht schlafen zu gehen. Ihr Wutanfall beweist, daà er sich nicht mehr im Griff hat. Er reagiert falsch, hat das Gespür verloren, um ihre Situation in den Sekundenbruchteilen, die manchmal nur Zeit sind, richtig zu einzuschätzen. Nie zankten sie, und jetzt zum dritten Mal in einer Woche. Das Fatale ist, daà es nicht mehr an der Frau liegt, wie er sich die ganze Zeit beruhigt hatte. Wenn er es nicht bereits war, ist er spätestens über den Sommer zu einem Fall geworden, an dem ihr Therapeut seine Freude hätte. Gleich, was sie sagt, hält er es für eine Lüge, im besten Fall für eine Absicht. Ausgerechnet jetzt, da der Therapeut ihre persönliche Situation für stabil hält und die Entlassung auch deshalb befürwortet, weil der Mann im Angehörigenseminar so fürsorglich auftrat, so verantwortlich, ausgerechnet jetzt zu gestehen, daà er, der Mann, nicht mehr will, nicht mehr kann, nicht mehr hofft und ihr nicht mehr glaubt, wäre für ihre Prognose verheerend. Seine Lügen holen ihn ein. Die Freundin, die Bahai ist, sagt auch, daà es helfe, im Gebet nach Hilfe zu rufen, da man sich so die eigene Bedürftigkeit eingestehe. Nichts anderes tue er doch Tag für Tag, dachte er bei sich selbst. Am Mittwoch, dem 23. August 2006, ist es bereits 12:18 Uhr, und in zweiundzwanzig Minuten ruft das Radio an, um ihn für einen guten Tageslohn zum iranischen Atomkonflikt zu
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