Dein Name
gegen Gott zu beachten haben), Hausordnungen, Wäschelisten, frühesten, bald widerrufenen Gedichten in verschiedenen Varianten, abgeschickten sowie weggeworfenen Briefen. 29 engbedruckte Seiten nehmen allein die Statuten des Theologischen Stifts ein, und da ist der Leser bereits im zweiten Band. So lebensnah wie ein Abfallkorb hat er sich Hölderlin nun auch wieder nicht vorgestellt. Und doch faszinieren mich sonderbar die Aufzählungen, Urkunden und Listen, weil sie mit wenigen Buchstaben ganze Existenzen anzeigen, Geburtsfreude und Trauer, Versagensängste und Zukunftspläne, weil die Buchstaben einmal so viel und zweihundert Jahre später nichts, absolut nichts mehr bedeuten, etwa die Liste der Schüler, die am 20. Oktober 1784 in der niederen Klosterschule Denkendorff in die Promotion eintraten. Sie sind nur noch Namen. Sie haben immer noch einen Namen. »1. Frid. Henr: Wolfgang Moegling, natus Stuttgardiae d. 28. Aug. 1771. Patre quandam Secretario Consistorii. 2. Joann. Christian Benjamin Rümmelin, (antehac Hospes) natus Sielmingae, d. 19. May 1769. Patre Pastore. 3. Eberhard Frid. Schweickhard, natus Pfullingae d. 27. Sept. 1770. Padre quandom Physico. 4. August Frid. Klüpfel, n. Stuttgardiae d. 13. Dec. 1769. Padre Archigrammateo. 5. Christj. Guiliel. Fleischmann, n. Stuttgard. d. 3 Juny, a. 1770. Padre Consiliario Expeditionum. 6. Ludov. Frid. Stahlegger, n. Metterzimmerae, d. 12. Mart. a. 1770. Padre quandam Metterzimm Pastore. 7. Joann. Frid. Conr. Friz, n. Aichschiessae, d. 26. Nov. 1769. Padre Pastore. 8. â¦Â« Und so weiter. Der dreizehnte von neunundzwanzig Schülern, die am 20. Oktober 1784 in der niederen Klosterschule Denkendorff in die Promotion eintraten, trägt den Namen Johann Christian Friedrich Hölderlin, wurde geboren in Lauffen am 29. März 1770 als Sohn eines Klosterhofmeisters. Wie Gott es verbietet, Seinen Namen auszusprechen, müssen die Vergänglichen beim Namen gerufen werden, um ihre Vernichtung noch ein, zwei weitere Generationen hinauszuzögern â oder ewig, wenn der Zeuge Friedrich Hölderlin heiÃt. Vor acht Minuten hätte der Leser am Freitag, dem 25. August 2006, um 12:08 Uhr ab- und aufbrechen müssen, da zweihundert Kilometer entfernt in St. Margarete das Angehörigenseminar um 15 Uhr fortgesetzt wird. Mochte es anfangs als Aufschrei durchgehen, ist sein Jammern zur Routine geworden, als verlange es seine Poetik, alle zwei Absätze die gleiche Leier von der Liebe zu singen, die krank macht. Wie sie sich ineinander verfangen haben, wie Stricke reiÃen und andere festhalten, daà es weh tut an den Gelenken, bis sie vor Schmerz abstumpfen und keiner mehr ein Auge hat für die Schönheit dessen, der so nah ist wie die eigene Halsschlagader, böte anderen Romanschreibern Stoff. Ach was, auch jede andere Konstellation von Menschen wäre zu gebrauchen, sie muà nicht auf Intensivstationen führen; für den, der versteht, ist alles ein Zeichen, aber dann auch die Liste mit Käufern, Objekt, Erlös und der Differenz zum Schätzpreis, die auf die natürlich ebenfalls dokumentierte Urkunde über den Verkauf der in Lauffen 16 verzeichneten Grundstücke folgt, bei dem die Mutter die Schätzwerte um 183 f54 x übertroffen hat: »Jacob Stricker, Fischer, Acker Zellg Grosfelfd, 210. f [+ 47 f 30 x] / Hans Jerg Rembold, Acker Zellg Grosfeld, 36. f 30. x [â 21 x] / Ludwig Seybold, Acker Zellg, 51. f. 30. x [+ 4 f 45 x] / Heinrich Demler, Säger [andere Hälfte], 51f. 30. x [+4 f 45 x] / Philipp Jacob, Schmid, Acker Zellg Seefeld, 66. f. 30. x / Herr Hofmeister, Lederer, Acker Zellg Seefeld, 129. f [+ 29. f] / Jacob Eckardt für Ernst Eckardt, Acker Zellg Seefeld, 209. f. [+60. f 45. x] /Hannà Jerg Remboldt, Zellg Steetsfeld, 61. f [+8. f].«
Der Freund hat versprochen, es niemandem zu sagen, also kann er es auch nicht im Hauptwerk sagen, wie er sein Totenbuch neuerdings nennt, das aus lauter Nebensachen besteht oder besser gesagt bestand, nein, besteht, denn der Freund kann das Wesentliche ja nicht schreiben, oder nur soviel kann er schreiben, daà eine Freundin, eine sehr gute, aber vorläufig anonyme Freundin an Krebs erkrankt ist und bald mit der Chemotherapie beginnt, die höchstmögliche Dosis. Der Freund kann nichts schreiben, nichts über die Umstände, nichts darüber, von wem und wie er es erfuhr, später sicher, aber nicht jetzt, er muÃte es versprechen,
Weitere Kostenlose Bücher