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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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habe. Britische Agenten hielten ihn für einen Epileptiker, andere Geheimdienste schrieben ihm eine manische Depression zu, und als er 1940 ins Exil geschickt wurde, soll er versucht haben, sich umzubringen. Er selbst meint in seiner Selberlebensbeschreibung, daß er noch aus einem anderen Grund als seiner angeschlagenen Gesundheit oft im Bett gearbeitet habe; an seinem Amtssitz hätten zu viele Leute mit verdächtigen Interessen auf ihn eingeredet. Von so ausgesuchter Höflichkeit er war, wie alle Zeitzeugen berichten, so sehr widerstrebte ihm das Gehabe auf Empfängen und Bällen. Er verachtete die Gespreiztheit der Aristokratie, wie nur ein Aristokrat sie verachten kann, trug während seiner gesamten Amtszeit als Ministerpräsident einen einzigen Anzug, der ihn sechshundert Tuman gekostet hatte, und lehnte es ab, sich in die Staatslimousine zu setzen, weil sie ihm zu protzig erschien. Als Sprößling der Kadscharen kämpfte er während der Konstitutionellen Revolution gegen seine eigene gesellschaftliche Klasse, ja, seine eigene Familie. Vor großen Kundgebungen, die er immer wieder einberief, um sich öffentlich zu erklären, wenn seine Gegner intrigierten, fürchtete er sich eigentlich – und das, obwohl er ein so mitreißender Redner war, daß er Hunderttausende zum Weinen bringen konnte. Vor Ergriffenheit brach er dann oft selbst in Tränen aus oder sank hinterm Pult ohnmächtig zu Boden. Bei einer Parlamentsdebatte geriet er einmal in solche Wut, daß er aus dem Ehrenstuhl des Regierungschefs die hölzerne Armlehne herausbrach und wild damit herumfuchtelte. »Der Löwe« nennen ihn die Iraner bis heute wegen seiner Kraft, seinem Mut und seiner Entschlossenheit. Dabei klagte er ständig über seine Gebrechen, sein Alter, seine Schwäche, las auf internationalen Konferenzen seine medizinischen Bulletins vor und drohte immerzu, die Last, die sein Amt bedeute, sofort und für immer abzuschütteln – falls man nicht auf der Stelle seine Forderung erfülle. Tatsächlich hat Mohammad Mossadegh in seiner langen politischen Laufbahn, die vierzehnjährig begann, als ihn der Kadscharenkönig zum Schatzmeister der riesigen Provinz Chorasan ernannte und ihn mehrfach ins Gefängnis, ins Exil, aber genausooft in Ministerämter und auf Gouverneursposten führte, tatsächlich hat er mehr als einmal kurz entschlossen und auf offener Bühne seinen Rücktritt erklärt, weil ihm etwas nicht paßte, hat sich in seinen türkisfarbenen Pontiac gesetzt und von seinem Fahrer bei Vollgeschwindigkeit zu seinem Landsitz in Ahmadabad bringen lassen, wo er für Wochen nicht einmal ans Telefon ging. In einer Gesellschaft, die wie keine andere das Martyrium verehrt und man gewöhnliche Briefe mit der Floskel »Dein Opfer« unterzeichnet, verstand er es meisterhaft, seine Erschöpfung, seine Krankheiten, seine physische Schutzlosigkeit politisch einzusetzen. Einmal beendete er eine Parlamentsdebatte, die für seine Fraktion aus dem Ruder zu laufen drohte, indem er auf das Zeichen eines Mitstreiters hin das Bewußtsein verlor. Und vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York bat er 1951 um Nachsicht, daß er zu schwach sei, um seine Rede vorzutragen, und trug dann doch die ersten Seiten selbst vor, bevor er das Manuskript seinem Botschafter Allahyar Saleh reichte (jener Saleh, der als Vertreter der Regierung Mossadegh auf der Trauerfeier für Doktor Jordan sprach). Was wie eine spontane, für seine Physis übergroße Anstrengung aussah, die sich nur aus der Dringlichkeit des Anliegens erklärte, war bis hin zu dem Satz genau geplant, bei dem er nicht mehr fortzufahren vermochte. So geriet sein Auftritt in New York nicht allein wegen der peniblen Beweisführung des Juristen, nicht allein wegen der Eloquenz und dem sehr eigenen Klang seines Französisch zum Triumph. Es war die gesamte Inszenierung als ein gebrechlicher, aber unbeugsamer und sehr alter Führer einer schwachen, aber unbeugsamen und sehr alten Nation, welcher die britischen Redner nur Arroganz und Vertragsparagraphen entgegenzusetzen hatten. Die Strategie, wenn es nicht nur Intuition war, bewährte sich so gut, daß Mossadegh bei seinem Auftritt vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag das Manuskript an einer zuvor vereinbarten Stelle wieder an Saleh übergab, um den eigenen Worten scheinbar völlig entkräftet zuzuhören

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