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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Einklang mit der Scharia stehen. Mögen sie in Teheran über das Heilige denken, wie sie wollen, ich werde mein Bestes versuchen, sagt sich der stellvertretende Filialleiter, damit Doktor Mossadegh der Segen zuteil wird. Baghaí begrüßt ihn überraschend herzlich, bittet ihn herein und erkundigt sich ohne Eile nach dem Befinden. Der stellvertretende Filialleiter erklärt sein Anliegen und zeigt den Stock. Der Vorsitzende der »Werktätigen«, der seinen Verrat bereits vorbereiten oder wenigstens erwägen muß, ist gerührt. Ohne weitere Nachfrage greift er zum Telefon und besorgt die Audienz beim Premierminister – und zwar für sofort. Fast scheint es dem stellvertretenden Filialleiter, als zöge der Derwisch weiter die Fäden. Ein wirklich sehr schöner Stock, murmelt Baghaí, während er die Adresse aufschreibt.
    Wer erinnert sich noch an Yamin ol-Mamalek? Großvater tat es, und ich dachte, er habe nicht einmal den Namen richtig behalten und einen Yamin ol-Molk gemeint, den Seyyed Zia ol-Tabatabaí nach dem Putsch von 1921 verhaften ließ. In seiner Selberlebensbeschreibung erwähnt Mohammad Mossadegh, daß er sich 1921 auf der Rückreise aus der Schweiz, wo er als Anwalt gearbeitet hatte, mit seinen zwei älteren Kindern einige Tage in Buschher aufhielt – bei einem Yamin ol-Mamalek. Mossadegh schreibt nicht viel über den Aufenthalt, kaum mehr, als daß sich der Kanonenhausplatz in einem erbärmlichen Zustand befunden und jemand eine Uhr zusammen mit je einer Schale Datteln und Eiern für ihn abgegeben habe. »Die Uhr ist seit einiger Zeit kaputt«, habe es im Begleitbrief geheißen: »Da ihre Kinder im Ausland studieren, bitte ich darum, die Uhr zu reparieren, und wünsche einen guten Appetit beim Verzehr meines unwürdigen Geschenks.« Noch vierzehn Jahre nach der Konstitutionellen Revolution, fügt Mossadegh zur Erklärung hinzu, hätten die Menschen außerhalb der Hauptstadt geglaubt, daß jemand, der im Ausland studierte, allwissend sei, alles beherrsche und selbstverständlich auch Uhren repariere. Ich will nicht sagen, daß ich das uninteressant finde, aber durchgekämmt habe ich die Selberlebensbeschreibung des Premierministers, die kein Schnäppchen ist, da in Iran verboten und nur eine ältere Ausgabe bei einem iranischen Versandbuchhändler in Kalifornien erhältlich, um vielleicht einen Hinweis auf Großvater oder einen ungenannten Besucher aus Isfahan oder auch nur einen bestimmten Stock zu finden. Dafür weiß ich jetzt, daß Großvater den Namen richtig geschrieben hat.
    Draußen ist es so kalt wie im Januar 1919, als auf der Suche nach Arbeit die Klinken von Urgroßvaters Bekannten und den Bekannten der Bekannten putzte, bis er eines Morgens bei der Zeitungslektüre im Bett seiner ungeheizten Wohnung die Anzeige der Zollbehörde entdeckte, zu kalt, um zu laufen, zu weit, um schnell da zu sein. Gegen die angeborenen Widerstände des Isfahanis, unnötig Geld auszugeben, leistet sich der stellvertretende Filialleiter der Nationalbank in Isfahan ein Taxi und fährt in die Kach-Straße zum Privathaus des Premierministers. Ein Diener führt ihn durch den Hof ins Schlafzimmer, wo Mossadegh aufrecht im Bett über Papieren sitzt, bekleidet mit Hemd und Pyjamahose aus grobem iranischem Material, wie es die einfachen Leute tragen. Die Welt kennt dieses Bild: der renitente Führer eines Entwicklungslandes, das geltende Verträge mit einer Weltmacht bricht, in Hemd und Pyjamahose aus billigem iranischem Material. Das Bett war sein bevorzugter Arbeitsplatz. Auch Besucher, darunter viele ausländische Journalisten, Botschafter und den Sondergesandten der britischen Regierung hat er an diesem Bett empfangen, und das war nicht nur ein Signal, nie mehr vor den Franken strammzustehen, wie es in Iran verstanden wurde, oder die Unverschämtheit eines Irrsinnigen, der Weltpolitik zu spielen versucht, wie es die westliche Presse darstellte, selbst linksgerichtete Magazine wie der Spiegel übrigens, auf dem Titel Mossadeghs Kopf von unten photographiert mit verzerrtem Mund und durch die Perspektive mit riesiger Hakennase wie in der Ikonographie des Nationalsozialismus. Mossadegh war krank; er litt an einer seltsamen, nie aufgeklärten Nervenkrankheit, hatte oft Fieber und konnte stundenlang über seine Magengeschwüre sprechen, die kein Arzt richtig diagnostiziert

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