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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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erläutert, bis die Tränen in ihren eigenen Augen stehen. Die letzten Ländereien waren ihm genommen worden, Tschamtaghi, seit Generationen der Landsitz der Familie, besetzt und verwüstet. Ein kommunistischer Mullah, der später hingerichtet werden sollte, hatte die Bauern aufgewiegelt, die für den Großvater arbeiteten. Dabei hatte Großvater Papiere, nicht nur für den Boden, sondern für jeden einzelnen Bauern, wie die Mutter betont, Arbeitsverträge, Krankenversicherung, Steuererklärungen, da lief nichts heimlich oder illegal, aber erklär das ein Jahr nach der Revolution einem Richter oder der Polizei, wenn ein Mullah schreit, Tod den Grundbesitzern! und Lang lebe die Herrschaft des Volkes! Großvater war zu gebrechlich, und dann starb noch der einzige der beiden Söhne, der den Kampf hätte ausfechten können. Ihr älterer Bruder sei damals schon für nichts Praktisches zu gebrauchen gewesen, sagt die Mutter. Das körperliche Leiden setzte Großvater ebenfalls zu, vor allem die Blasenschwäche, die ihn regelmäßig vor allen Leuten demütigte. Und schließlich die Revolution – was ich gar nicht mehr wußte: Großvater unterstützte die Revolution so glühend, wie er sein konnte, und ließ sich von der Tante im Rollstuhl zu den Demonstrationen schieben. Dort mußte er wieder pinkeln, erinnert sich die Mutter. Die Tante rollte den Stuhl zum Straßenrand und zog dem Haupt der Familie die Hose herunter. Großvater war Nationalist, Republikaner, verehrte Doktor Mossadegh, für den er Anfang der fünfziger Jahre ins Parlament ziehen sollte, vertraute wie so viele andere den Versprechen und Erklärungen, die Ajatollah Chomeini vor der Revolution gab, und hoffte nach der Revolution auf den liberal-islamischen Ministerpräsidenten Mehdi Bazargan, den er persönlich kannte. Als die Hinrichtungen begannen, verwandelte Großvater sich von einer auf die andere Woche zum erbitterten Gegner der Revolution, noch bevor Mehdi Bazargan aus Protest gegen die Besetzung der amerikanischen Botschaft zurücktrat. Wie üblich, wird Wut über sich selbst mitgeschwungen haben, Wut über den eigenen Irrtum. Auch der Bruder seines Schwiegersohns war hingerichtet worden, Mehdi Nurbachsch, vor der Revolution Polizeichef der Stadt Choramabad, obwohl sich die Beschuldigungen als Verleumdung erwiesen hatten. In der Nacht vor seiner Freilassung fuhren alle nach Teheran, auch meine Mutter, um Mehdi Nurbachsch aus dem Gefängnis abzuholen, und als sie morgens eintrafen, war er hingerichtet worden, weil der Gefängnischef die Begnadigung in der Jackentasche hatte verschwinden lassen, eine Privatfehde, wie sich herausstellte, der Gefängnischef wurde entlassen, Mehdi Nurbachsch im Radio zum Märtyrer erklärt und Großvater endgültig in Aufruhr versetzt. Schließlich kannte er die Mullahs, sagt die Mutter, kannte die Mullahs nur zu gut. Wenn die Rede auf den Revolutionsführer kam, zitierte Großvater oft den Vers des gepriesenen Saadi: »Erreichst du etwas durch Gewalt bei uns, bei Gott kannst und wirst du nichts erreichen. / Gewalttat übe nicht am Erdenvolk, daß seine Klagen nicht zum Himmel reichen!« Bestimmt war die Wut Großvaters auf die Mullahs deshalb so groß, weil er ihnen gegen besseres Wissen vertraut hatte. Die schlimmsten Schmähungen ließ er auf sie herabkommen, insbesondere auf Chomeini selbst, Flüche, Verdammungen, Schimpfwörter, daß die Familie sich sorgte, jemand könne ihn bei einem Revolutionsgericht denunzieren. Es geschah nicht. Großvater lebte noch zwei, drei Jahre und schrieb in dieser Zeit, vermutet die Mutter, sein Leben auf. Ja, antwortete die Mutter, er wollte die Selberlebensbeschreibung veröffentlichen, gab sie seinem gelehrtesten Freund zu lesen, der beschied, daß das Manuskript nur für die Familie lesenswert sei, nicht für das allgemeine Publikum, das Großvater also tatsächlich im Sinn gehabt hatte, das allgemeine Publikum, das sich für die iranische Zeitgeschichte interessiert. Das traf ihn sehr, bestätigt die Mutter. Sofort verwarf er alle Gedanken, das Manuskript einem Verlag vorzulegen, verfügte in seinem Testament jedoch, daß es abgetippt und an seine Kinder verteilt würde. Das dauerte, wenn der Sohn richtig rechnet, immerhin fünfzehn, sechzehn Jahre. Nicht einmal sie habe Großvaters Selberlebensbeschreibung vollständig

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