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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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das vorgebliche Gebiet des Friedens: so vernünftig organisiert, daß sie jedermann ein Leben in Anstand und Würde ermöglicht, die Freiheiten zwar begrenzt, doch dafür gerechter verteilt, statt wenigen Menschen alles mögliche zu bieten und allen anderen die Knute. Als sei sie von einer Brise vertrieben, ist die Heiterkeit verflogen und legt sich das Gespenst des Kummers wieder auf ihn. Er hört nicht mehr auf das Gespräch, das ringsum auf dem Teppich weiterplätschert, sieht nicht mehr den See mit den anmutigen Segelbooten darauf, achtet nicht mehr auf den Schwiegersohn und den ältesten der drei Enkel, die längst zurückgekehrt sein müßten, sondern versinkt wohl in Gedanken, für die der gepriesene Hölderlin Worte fand: »Darum irr ich umher, und wohl, wie die Schatten, so muß ich / Leben und sinnlos dünkt lange das Übrige mir. / Danken möcht ich, aber wofür? verzehret das Letzte / Selbst die Erinnerung nicht? nimmt von der Lippe denn nicht / Bessere Rede mir der Schmerz, und lähmet ein Fluch nicht / Mir die Sehnen und wirft, wo ich beginne, mich weg?« So viele Jahre verwirrt es ihn nun schon, daß der richtige Glaube nicht zum richtigen Leben führt, und erschüttert dieses Rätsel seine grundlegenden Überzeugungen. An alle Menschen seiner Umgebung hat er sich gewandt, denen er eine Erklärung zutraute, und jedesmal festgestellt, daß ihn keine der Rechtfertigungen und Schuldzuweisungen überzeugten, mit denen die Weltläufigen und Frommen, Gebildeten und Weisen die Rückständigkeit ihres Landes und ihrer Religion erklärten. Dann senkte er, noch bevor sie zu Ende gesprochen hatten, jedesmal den Kopf und wurde so auffällig still, daß sie ihn fragten, woran er noch zweifle. Die Antwort hat Großvater den Weltläufigen und Frommen, Gebildeten und Weisen, die jetzt vor seinem inneren Auge vorüberziehen, niemals gegeben. »Papa, hallo, wo sind Sie?« schüttelt die Tochter den alten Herrn an der Schulter und wirkt beinah ärgerlich: »Hängen Sie schon wieder Ihren Gedanken nach? Seien Sie doch nicht immer so schwermütig! Hier ist kein Ort, Trübsal zu blasen, Papa, hier ruht man sich aus, genießt die Natur, vergnügt sich mit seinen Nächsten und freut sich am Leben.« Der alte Herr findet so leicht nicht in die Gegenwart zurück: »Ich fragte mich gerade, was der Grund dafür ist, daß jene Gesellschaften, deren religiöse und moralische Lehren wir doch für viel unbedeutender halten müssen als unsere eigenen, uns in allen Belangen überlegen sind, nicht nur ökonomisch und wissenschaftlich, selbst geistig und moralisch? Warum sind wir so zurückgeblieben? Wir hatten Größen wie Scheich Saadi, die das Paradies als den Ort der Mitmenschlichkeit bezeichneten. Wir haben einen Propheten, Gott segne ihn und schenke ihm Heil, der vor vierzehn Jahrhunderten, als noch niemand das Wort Humanismus kannte, denjenigen als Muslim definierte, von dessen Hand und dessen Zunge anderen Menschen kein Schaden erwächst. Was ist geschehen, daß wir, die unmittelbaren Hörer dieser Botschaften, bis heute unaufhörlich über die Bosheiten und die Unterstellungen unserer Mitmenschen klagen, aber umgekehrt sofort bereit sind, andere ungefragt und ungeprüft aller möglichen Dinge zu beschuldigen und schlecht über sie zu reden?« Wieder lacht die Tochter, lacht ihn aus, so empfindet er es: »Papa, lieber Papa, ist es nicht schade, die Zeit an einem solchen Ort, bei einer so herrlichen Aussicht und köstlichen Luft mit so traurigen Worten und bekümmerten Gedanken zu verschwenden?« In diesem Augenblick fällt der Blick der Tochter auf ihren Mann und den heutigen Orthopäden, die sich offenkundig in großer Aufregung von weitem nähern. »Was ist passiert?« kreischt sie und rennt auf die beiden zu. Der alte Herr läuft ihr nach, so schnell er kann. Der Unterschied, mit Kindern zu leben, liegt nicht einmal zwingend in der Anzahl der Romane, die man nicht schreibt, vielmehr in der Zielstrebigkeit, die ein zugleich minutiös geregelter und äußerst störungsanfälliger Tagesablauf erzwingt. Obwohl die Familie in Köln ist und er drei ungeregelte, ungestörte Wochen verbringt, ringt der Enkel sich zu Kirchgängen und Museumsbesuchen wie zu einem Laster durch, da er sich nun einmal das Leben seines Großvaters vorgenommen hat.
    Die

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