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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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und Schwestern nicht zu erklären gebraucht. Kein Mensch über uns, nur Gott. Auch sitzen in den traditionellen schiitischen Moscheen Männer und Frauen ebenfalls in getrennten Bereichen, doch nebeneinander im selben Raum. In der Trinità dei Monti werden überdies die Gläubigen einbezogen, die acht, die wir waren, gleichwohl ich keiner bin. Während der Priester sich die violette Stola überzog, eilte eine Schwester zu den Kirchenbänken und bat zwei von uns, das Brot und den Wein nach vorn zu tragen und diesem zu überreichen. Erhört wurde mein Stoßgebet, daß sie nicht mich bittet. Unbußfertig genossen, gleichsam wie ein Meineid, gibt das Abendmahl »statt des Himmels eine Hölle«, mahnt Jean Paul und hält sich»die schreckliche, bloß dieser Religionshandlung eigentümliche Bedingung glühend vor die Seele«. Daß der Erlöser, der in einen unreinen Sünder einzieht, »die seligmachende Kraft seiner persönlichen Gegenwart in eine vergiftende verwandeln müsse«, war ich für den Augenblick bereit zu glauben. Die lateinische Messe, zu der mich der katholische Freund führte, hat mich als semiotisches Ereignis von äußerster Komplexität beeindruckt, aber blieb doch ein Konzept, das nach der mehr als vierzigjährigen Unterbrechung noch nicht wieder in die Motorik eingegangen ist, nicht einmal in die der Priester selbst. Ein junger Theologe mußte ihnen gleich einem Impresario sagen, welche Geste, welcher Gang und welches Wort an der Reihe waren, wann sie zu sitzen, wann sie zu stehen, wann sie sich vor dem Altar und wann sie sich voreinander verbeugen mußten. An dem Gelingen änderten die Anweisungen nichts, da es um den Dienst an Gott geht, nicht um unsere Gefühle, um die Handlung, nicht um Psychologie. Deshalb können sich die Gläubigen und selbst die Priester während der Messe unterhalten, photographieren, deshalb braucht der Impresario nichts zu verbergen. Den Impresario oder mindestens einen Inspizienten müßte es in der lateinischen Messe auch dann geben, wenn die Gänge und Worte schon wieder in die Motorik der Priester eingegangen wären, da vom Heiligen nur im Konjunktiv zu sprechen ist wie in Hagiographien und es nur verfremdet gezeigt werden darf wie vor dem epischen Theater bereits jahrhundertelang im Passionsspiel, bei dem die Darsteller selbst dann ein Textblatt in der Hand trugen, wenn sie den Text auswendig beherrschten. Was nicht geschehen darf, ist eine falsche Geste, ein falscher Gang, ein falsches Wort. Entsprechend ist auch die Hierarchie zwar streng funktionalisiert und durch Blicke abgemildert, doch bis in solche Nuancen durchgehalten, daß es manchmal schon komisch wirkt, etwa wenn der Rang des zweiten und dritten Priesters daran zu erkennen ist, mit welchem Blick sie die Stola des ersten tragen, mit leichtem Widerwillen oder großer Beflissenheit. Noch die Umarmung zum Schluß ist ein Zeichen, ein sehr schönes wohlgemerkt, sehr vornehm, und getrennt nach Sphären: Die Würdenträger deuten an, sich zu umarmen, in dem sie die Köpfe nebeneinander führen; die Gläubigen tun es ihnen nach. Sosehr es auch mich erhob, den katholischen Freund rechts und die fremde Dame links von mir sorgsam wie ein Statist auf der Bühne zu umarmen, müssen meine Augen dennoch anders geleuchtet haben, als die Bruder und Schwestern ins Schiff der Santissima Trinità dei Monti ausschwärmten, an die Kirchenbänke traten, den sieben Gläubigen und mir beide Hände fest drückten, jedem von uns liebevoll anlächelten und uns lang in die Augen schauten. Jeder in der Kirche hatte gesehen, daß ich nicht zum Altar getreten war, weil mir nur Brot und Wein gereicht worden wäre. »Der Erde Frucht« nennt Hölderlin, den ich zum Ende des Tages, der an der Bushaltestelle bereits so glücklich begonnen hatte, noch an passender Stelle las, während ein Bruder und eine Schwester den Altar abräumten und anschließend drei weiße Leinendecken darüber ausbreiteten – nein, ich sei ein Gast und möge sitzen bleiben, solange ich wolle –, »Der Erde Frucht« nennt Hölderlin das Brot, das die anderen gegessen hatten, »doch ists vom Lichte gesegnet, / Und vom donnernden Gott kommt die Freude des Weins«. Die beiden Gaben hat der himmlische Chor den Menschen »zum Zeichen« zurückgelassen, seit die Götter weit weg, nur »über dem

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