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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Himmelfahrt, die sich aufgrund des Willens und der Weisheit des allmächtigen Schöpfers ereignete, die Erfindung des Flugzeugs heranzogen, dessen Flug dem Phänomen, das zur Rede steht, nicht im entferntesten ähnelt. Hier Technik, die man vielleicht bewundern, aber doch erklären kann, dort ein Wunder, das dem menschlichen Verstand niemals erklärlich sein wird, hier ein Erfinder, dort Gott – wo soll es da irgendeine Vergleichbarkeit geben? Ich wunderte mich, daß zwei hochrangige Gelehrte auf solchen Unsinn verfielen, wo sie sich doch nur hätten umschauen müssen. Um Gottes Wirken zu erkennen, hätte es genügt, das Wunder zu betrachten, das die Existenz eines einzigen Menschen bedeutet. Daß die Zunge spricht, die Ohren hören, die Augen sehen – sind das nicht noch größere, erstaunlichere Phänomene als die Himmelfahrt selbst? Bestimmt gibt es kluge Gelehrte, die die menschliche Biologie bis in ihre Feinheiten erklären können – aber wer könnte die Schöpfung selbst erklären? Wer könnte erklären, daß etwas ist und nicht nichts? Der Himmel deckt bloß die Unermeßlichkeit des Alls auf, die Erde hingegen die Unerschöpflichkeit jedes einzelnen Lebens. Und jetzt habe ich nur vom Menschen gesprochen – was ist mit der Vielfalt der Tiere, der Vielfalt der Pflanzen, der Vielfalt der Mineralien und Moleküle, die ein Blick ins Mikroskop enthüllt – ja, wenn ich eine bloße Rinde, bloße Holzkohle sich im Wasser zu jagenden, ja zu gebärenden Tieren auflösen sehe und zuletzt, wenn sich im bloßen Regentropfen allein eine Welt von fünf verschiedenen Tierarten birgt? Genügt denn das nicht, um darin eine Offenbarung zu sehen, eine Offenbarung, die jederzeit für jeden Menschen stattfindet. Muß man deswegen in den Büchern nachschauen oder sich technische Fragen stellen? Oder wie der gepriesene Scheich Saadi sagt: ›Jedes Blatt des Baumes, sieh, / Ist ein Buch der Theologie.‹ Ich fragte mich, wie es geschehen konnte, daß zwei aufgeklärte Vertreter unseres Glaubens und unserer Zeit das Offenkundige verkennen und dem Abwegigen folgen, das nur in die Dunkelheit und die Verlorenheit führt. Dann fiel mir ein, daß ich vor Jahren in einer Zeitschrift oder einem Buch gelesen hatte, daß ein weltberühmter Philosoph oder Wissenschaftler in seinem Studierzimmer schwitzte. Er rief seinen Diener herbei und befahl ihm, den Ofen vom Schreibtisch zu entfernen und mitsamt dem Rohr an anderer Stelle aufzubauen. Ohne nachzudenken fragte der Diener, der vielleicht ein ebensolcher Analphabet war wie der Verfasser dieser Zeilen, ob es nicht einfacher wäre, den Tisch vorübergehend vom Ofen wegzurücken. Dem weltberühmten Philosophen oder Wissenschaftler ging seine Gedankenlosigkeit auf, und er sah ein, daß der Mensch, egal auf welcher Stufe des Wissens und des Ruhmes er sich auch befindet, nicht vor den dümmsten Irrtümern gefeit ist. Und ich denke, daß den beiden hochstehenden Gelehrten des Islam etwas Ähnliches widerfuhr. Wahrscheinlich ist ihnen ihre kurzfristige Gedankenlosigkeit längst aufgegangen und benötigen sie nicht die Belehrungen eines Analphabeten. Andererseits ist ihr Buch immerhin gedruckt und in Umlauf gebracht worden, so daß der verquere Vergleich von der Schöpferkraft des Allmächtigen mit einer technologischen Erfindung Gott verhüte bereits Verwirrung gestiftet haben könnte. Deshalb sah es dieser Sklave als seine Pflicht an, der Irrlehre, soweit er dazu in der Lage ist, entgegenzutreten und an das Selbstverständliche zu erinnern. Sollte ich dazu nicht in der Lage gewesen oder wie so oft mir selbst die Gedankenlosigkeit unterlaufen sein, die ich den beiden hochstehenden Gelehrten also fälschlich vorgeworfen hätte, möge jemand anders mich korrigieren und mir Gnade erweisen, indem er mich belehrt.«

Kurzmitteilungen bleiben mir von Anka, lange Kurzmitteilungen. Später erfuhr ich, daß auf den Tasten des Mobiltelefons keine Zahl und kein Buchstabe mehr lesbar gewesen seien, so häufig habe sie Kurzmitteilungen getippt, immer kleine Briefe, die mitten im Wort abbrachen, weil sie für die Übertragung zu lang wurden, und mit der nächsten Kurzmitteilung wieder anfingen. Auf Orthographie und Rechtschreibung achtete sie nicht mehr, die Syntax geriet durcheinander, Sätze begannen, ohne daß der vorige aufgehört hatte.

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