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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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schlaf ich gleich wider ein ~so erschöpfend das alles.leider ~aber morgen, möge es klappen herzlichst anka« »Sent: 2-Sept-2008 21:00:11 Danke du lieber freud« »Sent: 3-Sept-2008 09:11:07 Seid ihr schon wach?liebe grüße von anka« »Sent: 10-Sept-2008 18:27:12 Sehr liebe,abend sonnenuntergan g grüße ~mit lieben grüßen an dich u deine familie, lieber Navid ~ von herzen anka« Ein, zwei, vielleicht drei Jahre hieß die Lebensdauer, die irgendwer in den Raum geworfen hatte. Von Ermächtigungen war die Rede, Patientenverfügung, Jugendamt. Sich mit ein, zwei, vielleicht drei Jahren abzufinden wäre ohne die beiden Töchter vielleicht möglich gewesen, sagte Anka, als ich sie endlich erreichte. Sie sprach von den Verletzungen, die sie anderen zugefügt hatte, von Eigensinn, den sie bereute, von Freiheit, die sie längst anders verstand. Könnte ich von Freundschaft reden, hätten wir sie an dieser Stelle geschlossen. Das Vertrauen, das unser erstes Gespräch geweckt hatte, schien unser zweites Gespräch zu besiegeln. Es war unser letztes. Obwohl wir uns noch einige Male zu erreichen versuchten, tauschten wir nur noch Kurzmitteilungen aus. In ihnen drückte sich eine achtsame, eigensinnige und freie Frau aus.
    Es war nicht voraussehbar, wann eine Nachricht von Anka eintreffen würde. Manchmal schrieb sie nachts, manchmal frühmorgens, manchmal am Tag und manchmal am Abend. Manchmal antwortete sie innerhalb von Minuten, manchmal einige Tage nicht. Und doch – nein, deshalb – schien es mir während der letzten Monate in Rom, als sei ich in ständiger Verbindung mit ihr, da jeden Augenblick ein Wort von Anka in meinen Tag treten konnte. Manchmal warfen mich die Kurzmitteilungen für ein paar Stunden aus der Bahn, öfter aber setzte ich nach einem kurzen Innehalten fort, womit ich gerade beschäftigt war, ob ich nun Auto fuhr, eine Kirche besichtigte oder schrieb. Es hatte nur alles oder jedenfalls vieles in Rom eine andere Melodie, Ankas so leise wie inständige Melodie.
    Ich hätte von Rom aus nach Berlin fliegen müssen, sei es nur für einen Tag, morgens hin, abends zurück, was hätte es mich schon gekostet?, mit dem Billigflieger zweihundert, zweihundertfünfzig Euro allenfalls, zwei Arbeitstage dazu. Daß mir solche Rechenhaftigkeit noch einmal unterlief, ist mir umso unbegreiflicher, als Anka in ihren Gefühlen noch gegenüber einem beinah Unbekanntem wie mir so verschwenderisch war. Selbst in den traurigsten, desolatesten Nachrichten ist die Rücksicht zu spüren, meinen und vor allem auch den Alltag unserer kleinen Familie nicht mit ihrer Verzweiflung zu beschweren. Selbst in den traurigsten, desolatesten Zuständen sandte sie immer etwas Helles mit. Zurück in Deutschland dauerte es noch sechs Wochen, bis ausgerechnet die Präsentation der Villa Massimo den Anlaß bot, sie zu besuchen. Wenn etwas, hätte ich von Anka lernen müssen, daß Freundschaft keines Anlaß bedarf. Als ich in Tegel gelandet war, schickte ich ihr wie verabredet eine Kurzmitteilung, um zu fragen, wann ich sie besuchen kann. Erst nach meiner Rede erfuhr ich, daß sie jetzt den Roman unterbrochen hatte, den ich schreibe. Oder hat sie ihn fortgesetzt nach langer Pause?
    Â 
    In einem Aufsatz der Zeitschrift für ausländische Landwirtschaft , erster Jahrgang (Oktober 1962), den ich in der Universitätsbibliothek einsehe, finde ich bestätigt, daß die wenigsten Großgrundbesitzer ihre Ländereien besuchten. Sie wurden fast immer durch einen Vogt vertreten, der den Auftrag hatte, die Gewinne abzuschöpfen und den Status quo zu bewahren. Selbst wenn die Bauern Land besessen oder sich einfach genommen hätten – das Kapital hätte ihnen gefehlt, um es zu bewirtschaften. Wer Getreide oder Obst anbaut, benötigt wegen der Trockenheit fast überall in Iran aufwendige Bewässerungsanlagen, die sich kein einzelner Bauer leisten kann, nicht einmal eine Dorfgemeinschaft. Die Großgrundbesitzer selbst waren nicht interessiert, die Landwirtschaft zu modernisieren und damit den Ertrag zu steigern, da sie fürchteten, daß die Bauern unabhängig würden, wenn sich deren Lebensverhältnisse dank höherer Einnahmen verbesserten. Aus dem gleichen Grund wandten sich die Großgrundbesitzer im Parlament, in den Ministerien oder in den Verwaltungen oftmals dagegen, den Bau ländlicher

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