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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Punkt und Komma, sofern sie überhaupt vorkamen, waren um eine Stelle verrutscht: standen nicht vor, sondern nach dem Abstand zwischen zwei Wörtern, allerdings nicht so regelmäßig, daß es System gehabt hätte. Die Irritationen, Unterbrechungen und Rätsel, die ihre flüchtige Schreibweise und die Beschränkungen des Mediums hervorriefen, entsprachen der realen Zeitnot und den physischen Behinderungen, die sie jedesmal neu und wundersam überwand. Ohne die Barrieren im Lesefluß wäre es mir wahrscheinlich zuviel Gefühl gewesen, das sie in ihre Mitteilungen legte. So nannte sie mich zwar ihren Freund, obwohl wir uns kaum kannten, aber weil sie sich in der Eile vertippte, wurde ich regelmäßig zu ihrem Freud. Im Sterben war sie schwärmerisch, wie ich es nicht gewohnt bin. Ob sie es vorher schon war, kann ich nicht sagen. Ich sandte ihr soviel Sympathie zurück, wie ich es in Kurzmitteilungen eben auszudrücken vermochte, ohne daß es einen falschen Ton annahm. Jeder nach seinem Maß, nahm ich mir vor und schien auf ihr Verständnis zu stoßen.
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    Anka Lea Sarstedt (22. März 1964 Peine; 19. Februar 2009 Berlin) ( Bildnachweis )
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    Bevor wir uns kennenlernten, leistete ich mir allerdings einen Fauxpas, auf den ich sonst andere aufmerksam mache. Weil Anka südländisch, genauer: orientalisch aussah, fragte ich ihren Freund, mit dem sie in der Villa Massimo lebte, woher sie stammt. Aus Deutschland, antwortete er mit der halb gespielten Entrüstung dessen, der ausgerechnet von mir eine solche Frage nicht erwartet hätte. Später erklärte mir Anka, daß sie ihren Vater nicht kenne. Sie hing an der Vorstellung, daß er ein Araber war oder besser noch ein Sepharde. Der Orient war es, über den wir auf der Terrasse eines Selbstbedienungsrestaurants am Augustus-Monument ins Gespräch fanden, Hauptsache sonnig: Fürs erste Mittagessen des Jahres unterm freien Himmel war sie gern bereit zu frieren. Wie sie mir nach einer Viertelstunde und auf dem Rückweg noch dicht gedrängt in der U-Bahn ihre widerstreitenden Gefühle aufblätterte, ihren Frieden und ihren Kummer, ihre Sorge um die Kinder, ihre Schuldgefühle auch und zugleich die beinah heilige Verpflichtung, das Leben, nur anders als bisher, auszuschöpfen, wertzuschätzen, das uns geschenkt, ihren Glauben und ihre Zweifel an sich selbst, sprach ich in einer Offenheit über die eigene Not, die sich mit keinem anderen Menschen seither ergab.
    Wenn wir uns auf den Kieselsteinen zwischen unseren Haustüren trafen, nahmen wir uns jedesmal vor, unsere Bekanntschaft zu vertiefen, die unter allen Begegnungen der Villa Massimo am meisten mir versprach. Ich dachte, es hätte Zeit, doch plötzlich war sie nach einem nächtlichen Streit aus Rom abgereist. Wenig später hörte ich ebenso plötzlich, was ihr widerfahren war, ohne Vorbereitung die tödliche Diagnose. Zunächst bemühte ich mich, ihrem Freund beizustehen, der ihr nach Berlin folgte. Als Anka sich von ihm trennte, schrieb ich ihr, daß wir oft an sie dächten und in unseren Gebeten jeden Abend bei ihr seien. Das waren wir tatsächlich, ein halbes Jahr fast jeden Abend vor dem Essen. Sie möge ein Zeichen schicken, wenn ich etwas tun könne oder sie anrufen dürfe, eine SMS , und ich würde mich sofort melden. »Sent: 2-Sept-2008 13:24:34 Lieber Navid,denke nur,– seid zwei tagen versuche ich dich in der villa anzurufen u hörte nun,das ihr unterwegs wohl seid.heute kommt dein liebevoller brief u mich berührt,zu wissen in euren gebeten gehalten zu sein…bitte laßt mir einen platz dort,denn ich selbst bin nun oft so schwach für das gebet u ed fehlt mir sehr …grüße von herzen deine familie.ich rufe heute oder morgen kurz durch …du kannst es immer versuchen – stöhrt gar nicht …wenn schlapp dan schlaf ich u meld mich zurück ~habe viel angst u viel so viel zu tun auch – für die töchter …danke.danke das du mir geschrieben hast,Navid.« »Sent: 2-Sept-2008 13:28:58 Das war ein gruß von anka u nun fliegt meine telefonnummer auch mit …jetzt leg ich mich schlafen.später meld ich mich«
    Einige Tage lang erreichte ich sie nicht, und wenn sie zurückrief, lag das Handy gerade nicht in der Nähe oder war ich mit den Kindern unterwegs. »Sent: 2-Sept-2008 20:55:13 Lieber Navid,-ich versuch morgen,denn nun

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