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Wandern, zum Angeln, zum Picknick im Schatten der Bäume. Oft bemerkt er sie gar nicht, so rücksichtsvoll verhalten sie sich, machen keinen Lärm wie die Iraner, trampeln nicht durch die Plantagen und über die Ãcker. Allenfalls sieht er am Vormittag ihre Autos von der StraÃe auf einen der Feldwege einbiegen. Er möchte sie nicht stören, zumal Frauen darunter sind, und wer weiÃ, wenn sie schwimmen gehen, dann ⦠â aber wenn er gegen Abend seine Runde dreht, ist er doch neugierig, wo sie sich hingesetzt haben, und schaut an den üblichen Plätzen nach: Fast nie wird er fündig. Gewöhnlich lassen die Ausländer kein Stück Papier liegen, keine Obstschalen, nicht einmal Zigarettenstummel. Jedesmal fragt sich der Gutsherr, wie zehn erwachsene Menschen einen ganzen Tag im Freien verbringen können, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Er hat auch seine zwei Bauern gefragt. Sie berichteten, daà die Ausländer â mit Sicherheit studierte, gut verdienende Leute â sich nicht einmal zu schade sind, ihre eigene Notdurft zu entsorgen. Und damit ist der Gutsherr wieder bei der Gedanken- und Gewissenlosigkeit seiner eigenen muslimischen Landsleute, den Melonenkernen auf dem Tschaharbagh, den zerstörten Parkbänken, nächtlichen Ruhestörungen und allem, was sich darin moralisch, religiös und politisch ausdrückt. Auch deshalb hat er das Exil gewählt, das ihm Tschamtaghi ist.
Wenn etwas, dürfte ich am Dienstag, dem 10. Februar 2009, um 1:12 Uhr den Rechtsstreit aus dem Jahr 1931 um die Bewässerung eines Wäldchens übergehen, obgleich selbst darin zwei, drei Hinweise sich finden, die jemand wertschätzen könnte, sagen wir ein Iranist mit dem Schwerpunkt auf moderner Sozialgeschichte: Zwei Jahre zieht sich das Verfahren bereits hin, als der Richter die Geduld mit den beiden Parteien verliert und einen Ortstermin anberaumt. Am Tag vor der Abfahrt bittet der Kläger, ein älterer Geistlicher namens Hadsch Scheich Mehdi Nadjafi, den jungen Gutsherrn von Tschamtaghi zu sich nach Hause und fragt, ob sie sich nicht gütlich einigen könnten, ihn schrecke die lange Reise: »Sie sind doch als ein tüchtiger, gottesfürchtiger Mann bekannt, Herr Schafizadeh. Warum müssen Sie denn für Ihre Bäume das Wasser des Kanals nutzen, der durch mein Grundstück flieÃt?« »Der Kanal flieÃt überhaupt nicht durch Ihr Grundstück«, erwidert der junge Gutsherr mit sicherer Stimme: »Morgen können Sie sich selbst davon überzeugen, daà der Kanal durch mein Grundstück flieÃt.« Der Scheich ist verwirrt und ruft seinen Anwalt, um ihn zu fragen, ob die Behauptung stimmt. Der Anwalt gibt dem jungen Gutsherrn recht. »Und weshalb haben Sie mir das nicht gesagt?« fragt der Scheich verblüfft. »Sie wollten Herrn Schafizadeh verklagen«, antwortet der Anwalt, »also habe ich ihn verklagt. Meine Aufgabe gleicht der des Leichenwäschers: Ich frage nicht, ob der Tote in den Himmel oder in die Hölle kommt; ich wasche ihn einfach.« Die Sache mit dem Fluà lag etwas komplizierter, doch ist es inzwischen 2:04 Uhr und der Enkel müde von einem weiteren Tag, dessen Arbeitszeit mit Korrespondenzen, Telefonaten, der Vorbereitung auf den nächsten Salon und zu allem Ãberfluà mit einer miserablen Rede verrann, die er überarbeitete, um sich nicht zu sehr zu schämen, den Redner selbst vorgeschlagen zu haben, schaffte es nicht zum Laufen an die frische Luft, weil er die Ãltere von einem Kindergeburtstag abholen muÃte, wegen des kalten Regens im Feierabendverkehr quer durch die Stadt, die sich mit Baustellen bedeckt hat, als könne sie jemals wieder schön werden. Der berühmte Schriftsteller, der als Personalchef einer groÃen Firma arbeitete, rief 1971 nachmittags seinen Chef an, um mitzuteilen, daà er nie mehr ins Büro zurückkehren werde, und nahm dreiÃigjährigen MiÃerfolg bis hin zum realen Hunger in Kauf, desungeachtet die Unvereinbarkeit des Schriftstellerlebens mit einer bürgerlichen Existenz nicht so sehr oder nicht nur in den täglichen Abläufen liegt, die Familie und Broterwerb erzwingen, vielmehr in der Asozialität gründet, auf die sich einläÃt, wer keine Rücksicht mehr nimmt. Heute leistet er sich das Leben mit Privatkino und die Lektüre von fünfzehntausend Seiten, wenn er meint, Hamsun kennen zu müssen, bevor
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