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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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offengestanden, seinen Geburtstag zu feiern, fügte der Sohn hinzu. Die Frau und die Schwägerin präsentierten Photos und führten Tonbandaufnahmen der Verwandten und Freunde vor, die sie in den letzten Wochen angerufen hatten: der vierjährige Junge in Schwarzweiß auf dem Schoß des aserbaidschanischen Großgrundbesitzers, dazu die Stimme der achtzigjährigen Schwester, die von den Bubenstreichen berichtet, auf aseri, versteht sich, so daß es ein Perser war, der nach einer Übersetzung rief, was alle Helgas und Karl-Heinzens urkomisch fanden; das Iran der siebziger Jahre, in das die Familie mitsamt katholischer Omi zog, Iranerinnen in Busineß-Kostümen, Iraner in Schlaghosen, junge Leute auf Super-8-Filmen, die in Teheran auf Boney M. tanzen, aber der Omi hatten sie eingebleut, daß die Frauen drei Meter hinter den Männern laufen würden, wie die Schwiegermutter sich in ihrem O-Ton erinnerte, und als sie nach Deutschland zurückkehrten, mußten sie die Omi trösten, die sich in Iran wohler gefühlt als je unter Deutschen, und die schreiende, strampelnde Tochter ins Flugzeug zerren, die Kinderbilder der Frau, eine kleine Kaiserin!, seine Stimme, die ihre Trauung in Isfahan schildert, von der sie den Eltern nichts gesagt hatten, damit sie fünfzehn Jahre später über ihre Unverfrorenheit lachen können. Als die Ältere unter Bravorufen der Iraner und der Dorfbewohner – was Gott alles will! – Goethes »Talismane« rezitierte, das die Gesamtlehre des Islam genauer, eleganter, anziehender zusammenfaßt als je ein islamisches Gedicht, wurde der Sohn gleichzeitig auf die Palliativstation und ins Perinatalzentrum geschleudert: »Im Atemholen sind zweierlei Gnaden / Die Luft einziehen, sich ihrer entladen. / Jenes bedrängt, dieses erfrischt; / So wunderbar ist das Leben gemischt. / Du danke Gott, wenn er dich preßt, / Und dank ihm, wenn er dich wieder entläßt.« Der Sohn hörte dem Chor älterer Damen zu, die vor kurzem, ein paar Jahre ist es nur her, noch fröhliche Mädchen waren wie die Schwiegermutter auf den Photos, und verfing sich in der Melancholie, die im Saal lag. Niemand schien es recht fassen zu können: Mit dem Jubilar, der vor kurzem, ein paar Jahre ist es nur her, in Teheran auf Boney M. tanzte oder mit dem kleinen Mädchen an der Hand durchs deutsche Dorf spazierte, waren auch die Gäste alt geworden, mochte der Chor noch so laut im Wald pfeifen, daß siebzig doch kein Alter sei und man selbst so jung, wie man sich fühlt. Und doch gab es entsprechend dem Wesen der Melancholie nichts an dem Gesicht zu beklagen, das jeder im Spiegel der anderen Gesichter sah. – Welches Lied? fragt die Frau. – Dieses Chorlied am Schluß, als auch die Iraner mitsangen. – Ach, das meinst du, weiß die Frau sofort, welches Lied der Sohn meint, und singt es auf der Nordsüdfahrt vor, während alle anderen im Auto mitsummen: »Wer nie weint und nie trauert, / der weiß auch nichts vom Glück. / Wer nur sucht, was ewig dauert, / versäumt den Augenblick. / Wer nie nimmt, kann auch nicht geben, / und wer ein Leben lang / immer Angst hat vor dem Sterben, / fängt nie zu leben an.« Als das Auto schon vor der Wohnung steht, erfährt der Sohn, daß die Ländereien von Berendschegan gar nicht mehr Großvater gehörten, als der Schah die Weiße Revolution ausrief. Die Ältere ist inzwischen eingeschlafen, so daß keine Eile mehr ist. Großvater hatte Berendschegan schon Jahre zuvor an seine drei Töchter überschrieben, ausschließlich an die Töchter, damit sie niemals von ihrem Ehemann abhängig würden. Als er 1986 starb, fand die Mutter nicht einen Rial in seiner Hosentasche, auf der Bank schon gar nichts. – Hätten wir gewußt, wie arm er war, wir hätten ihm doch helfen können, sagt der Vater. – Er hätte ohnehin nichts angenommen, ist die Mutter überzeugt. Und der Sohn hatte sich gewundert, daß nicht umgekehrt Großvater die Eltern unterstützte, die mittellos in Deutschland anfingen, und es auf den Stolz des Vaters geschoben. Seit der Enteignung lebte Großvater nur noch von den Einnahmen, die er auf den verbliebenen zehn Hektar erwirtschaftete. Als er nach der Revolution auch noch von Tschamtaghi vertrieben wurde, fielen auch diese Einkünfte weg. – Und seine Rente? fragt der Sohn. Sei nicht hoch gewesen, sei immer weniger

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