Dein Name
wert gewesen und habe GroÃvater bis zu seinem Lebensende vollständig, ohne je zu murren, der GroÃmutter überlassen, die den Haushalt führte, erklärt die Mutter. â Das heiÃt, er konnte sich nicht einmal ein neues Hemd, nicht einmal ein neues Buch leisten? â Ich weià es nicht, antwortet die Mutter müde oder traurig. â Nach der Bodenreform ist er nie mehr auf die Beine gekommen, sagt der Vater, der den Schah und John F. Kennedy neben allen anderen Verbrechen auch für die Depression seines Schwiegervaters verantwortlich macht. Die Mutter schrieb, daà bereits der Putsch von 1953 GroÃvater aller Lebensgeister beraubt habe. Sein gelehrtester Freund datierte den Genickbruch, wie er es ausdrückte, erst auf die Islamische Revolution von 1979. â Die sind schön, diese alten deutschen Weisen, bemerkt der Sohn, als er neben der Frau im Bett liegt: schön melancholisch. â Was meinst du? fragt die Frau. â Dieses Lied, das alle mitsangen, wer nie weint und nie trauert. â Das war Nana Mouskouri. Haben sich die Iraner gewünscht.
Wie eine Operation sieht es aus, eine Operation am offenen Herzen. Ringsum, dreiÃig, vierzig Meter entfernt hinter den Häuserzeilen, scheint die Stadt unversehrt, sofern Unversehrtheit ein Ausdruck wäre für dieses wohl unansehnlichste Stück des Zentrums, das der Kölner sonst nur auf dem Weg von der FuÃgängerzone in die Südstadt eilig durchquert. Hinter der Absperrung geht er durch eine Zwischenzone, in der die Gebäude noch stehen, aber verlassen sind, bevor er an eine gewaltige Schutthalde tritt, über die sich in zehn, fünfzehn Meter Höhe ein Dach aus Wellblech spannt, gehalten von einer Konstruktion aus Eisenröhren, wie man sie kleiner bei Stadienkonzerten sieht. Aus den Kraterwänden schweben Zwischendecken in der Luft, Stützpfeiler wie abgerissene Adern, Zementblöcke. Auf dem Schuttberg selbst liegt noch die schwarze Plastikfolie, als sei es ein Werk von Christo. Nur die Stellen sind offen, an denen die Helfer gerade arbeiten. Je nachdem, ob von der Feuerwehr, dem Technischen Hilfswerk, dem AbriÃunternehmen oder der »Höhenrettung«, die nicht aus Theologen besteht, wie der Name vermuten läÃt, tragen die Helfer unterschiedliche Schutzanzüge: schwarz-gelb, blau, orange oder rot. Auch die Helme, mit denen sie inmitten der Kraterlandschaft endgültig wie Astronauten aussehen, haben unterschiedliche Farben. Kräne und Bagger stehen ihnen zur Verfügung, aber die eigentliche Operation geschieht mit bloÃen Händen. Der Ablauf ist immer der gleiche: An drei Stellen des Trümmerbergs stehen Feuerwehrleute auf dem Schutt selbst oder auf einer hydraulischen Hebebühne und tragen Stein für Stein ab. StoÃen sie auf ein Schriftstück, das besonders alt oder wertvoll erscheint, halten sie es triumphierend in die Höhe. Aber jedes noch so unscheinbare Blatt, jedes Photo, jeder Schnipsel, den sie den Trümmern entwinden, unterschiedslos das Kostbare aus Jahrhunderten, die Zettel auf den Schreibtischen und die Inhalte der Abfallkörbe, wird in einen weiÃen Pappkarton gelegt und den Archivaren überreicht, die am Grubenrand warten. Stunden dauert es so, bis eine Fläche von wenigen Quadratmetern freigegeben ist. Dann fährt ein Bagger heran, hebt mit einer gewaltigen Kneifzange die gröÃeren Betonteile hoch und legt sie in der Grube ab, wo die Feuerwehr das Geröll ein zweites Mal nach was auch immer durchsucht. AnschlieÃend fährt wieder der Bagger heran und lädt den Schutt in einen Container. Die letzte Sichtung findet in Porz statt, wo die Trümmer flächig abgelegt werden, wie der Brandamtsrat es nennt. Erst jetzt beginnt die Tüftelei der Archivare und Restauratoren, die sich bemühen, die häufig durchnäÃten, losen oder zerrissenen Blätter zu säubern, zu ordnen und wiederherzustellen. Einige der wertvollsten Stücke sind bereits gerettet, etwa Handschriften von Albertus Magnus oder Schreinsbücher, in denen vom zwölften Jahrhundert an festgehalten ist, wer in Köln welchen Grund besaÃ. Nicht verraten wird, was auf den Schreibtischen oder in den Abfallkörben der Mitarbeiter lag, die um ihr nacktes Leben rannten, als am 3. März 2009 das Historische Archiv der Stadt zu beben begann, und deshalb alles unter sich fallen lieÃen: der Selbstmordgedanke eines Archivars, der
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