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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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»Fremdsprachen zu lernen war Ketzerei, Philosophie galt als Sünde, Mystik wurde verboten. Einmal trank mein Sohn Mostafa in der Feiziye aus einem Krug. Nur weil ich Philosophie lehrte, galt mein Sohn als rituell unrein, so daß man das restliche Wasser wegschüttete und das Gefäß reinigte, bevor ein anderer daraus trinken durfte. Hätte sich diese Entwicklung fortgesetzt, wäre dem Klerus und den Theologischen Hochschulen zweifellos dasselbe Schicksal widerfahren wie der christlichen Kirche im Mittelalter.« Chomeini konnte für Großvater kein Vorbild sein. Dieser kämpferische Ajatollah folgte nicht den nationalen und demokratischen Idealen Großajatollah Milanis, verkörperte nicht den aufgeklärten Glauben des Fernsehpredigers Hossein Ali Rasched, dem Großvater seine Selberlebensbeschreibung widmen sollte, und hatte nichts von der Milde seines mystischen Führers Pir Arbab. Aber Großvater konnte Ajatollah Chomeini auch nicht einfach als reaktionär abtun. Als reaktionär galten in bürgerlichen Familien wie unseren ebenjene Herrschaften, für die Fremdsprachen Ketzerei, Philosophie Sünde und Mystik verboten war, weltfremde Greise, die sich in juristischen Haarspaltereien ergingen, in Details der jeweils vorgeschriebenen Reinigungsart und jeweils vorgeschriebenen Reinigungsdauer nach Stuhlgang, Wasserlassen, Menstruation, Samenerguß, Berührung von Ungläubigen, Berührung von Gegenständen, die von Ungläubigen berührt wurden, Berührung von Gläubigen, die ihrerseits Ungläubige oder Gegenstände berührt haben, die von Ungläubigen berührt wurden, und so weiter. Daß Ajatollah Chomeini mit jahrhundertealten Gepflogenheiten brach und mit seinem Fundamentalismus in vielerlei Hinsicht ein Modernist war, auch das gehört zum verwirrenden Bild, das sich Großvater 1963 bot.
    Am Morgen des 23. Januar 1963, als meine Großeltern gerade in Frankfurt gelandet waren, schlossen die Händler im Teheraner Basar ohne jede Vorankündigung ihre Geschäfte, marschierten zu den Häusern prominenter Ajatollahs und verlangten von ihnen, gegen den Schah zu protestieren. Chomeinis Anhänger hatten die Aktion so perfekt vorbereitet, daß alle Geschäfte schon geschlossen waren, als die ersten Polizeieinheiten eintrafen. Nachdem die Ajatollahs zwei Stunden lang telefonisch berieten, erklärten sie sich notgedrungen bereit, einen dreitägigen Streikaufruf zu unterschreiben. Der Konflikt zwischen Krone und Turban brach aus, den Ajatollah Chomeini herbeigeführt hatte. Der Schah beschimpfte die Geistlichkeit in nie gehörten Worten als eine »dumme und reaktionäre Bande, deren Gehirne sich seit tausend Jahren nicht entwickelt haben«, und ließ Dutzende von Theologen verhaften. Als Ajatollah Chomeini daraufhin zum passiven Widerstand aufrief, hatten die Großajatollahs kaum eine andere Wahl als zuzustimmen. Der Name Chomeinis wurde in allen Moscheen geraunt, sein Poster hing in unzähligen Geschäften, der Klang seiner Stimme wurde allmählich vertraut. »Wenn diese verkommenen, widerlichen Elemente mit ihren reaktionären Freunden nicht aus ihrem Schlaf der Ignoranz erwachen, wird die Faust der Gerechtigkeit wie ein Blitz in ihre Gesichter schießen, egal welche Gewänder sie anhaben, und ihr schmutziges, beschämendes Leben beenden«, drohte der Schah in Teheran. »Bleibt standhaft und widersteht«, mahnte der Ajatollah in Ghom: »Fürchtet nicht diese verrotteten und rostigen Bajonette, sie werden bald zerbrechen.« Noch hatte Schah Mohammad Reza Pahlewi alle Macht, doch mit seinen Reden traf er zuverlässig den falschen Ton. Wenn er hätte entschlossen wirken müssen, blieb er zögerlich, und wenn er anschließend den Fehler ausbügeln wollte, verlor er gleich die Fassung. Ausgebildet in der Schweiz, sprach er zwar perfekt Französisch und Englisch, beherrschte das literarische Persisch indes nur mäßig und geriet bei seinen Reden ins Stocken, sobald er vom Manuskript absah, etwa weil er seine Wut nicht mehr beherrschte oder eine Pointe landen wollte. Chomeini hingegen war ein charismatischer Führer und nutzte damals noch alle Register der Rhetorik, die er in der theologischen Ausbildung über viele Jahre gelernt hatte. Emotionen zeigte er durchaus, allerdings nicht, weil sie ihn wie den Schah übermannten, sondern um sie kalkuliert einzusetzen und geschickt

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