Dein Name

Gelegenheit ungenutzt zu lassen und statt dessen ins Kino zu gehen. Der Zeitungsausschnitt im Schaukasten schätzte den Film, der gleich gezeigt würde, im Vergleich zu den anderen Werken der Reihe gering. Das Ticket bereits gekauft, erwog ich immer noch, mit dem Roman fortzufahren, den ich schreibe. Um die sechs Euro, die ich dem Filmkunsttheater geschenkt hätte, wäre es nicht schade gewesen. Ich blieb, weil so wenige Menschen vor dem Kino standen, eine Schande für Köln, und selbst ein schlechter Film von Werner Herzog immer noch ein Film von Werner Herzog ist, nicht so eine Neue Deutsche Filmhochschule wie in Saal 1, der vollbesetzt war, Nichts als Gespenster nach Judith Hermann, glaube ich, läuft seit Wochen, obwohl schon das Plakat nichts als Geplapper verspricht, angezogene Junggebliebene am Strand, deren Namen nicht interessieren. Allerdings hatte ich auch Angst. Werner Herzog ist seit Schultagen ein Idol, für meinen Weg bedeutender sogar als Fassbinder. Ich mochte auch das Buch sehr, das er über den Fußmarsch zur kranken Lotte Eisner geschrieben hat, Vom Gehen im Eis , hatte es vor vielleicht zwei Jahrzehnten zufällig im Ramsch entdeckt, niemand sprach darüber. Vorvorigen Herbst ist es neu erschienen und erhielt das Lob, das es damals verdient hätte. Die letzten Jahre hatte ich nicht mehr viel von Herzog gehört, las hier und dort von einer Oper, die er inszenierte, oder Berichte von Filmfestivals im Ausland, manchmal Hymnen, oft Achselzucken, auch Verrisse. Einen Verleih finden seine Filme in Deutschland nur noch selten, klagte der Eröffnungsredner. Ja, es gab für die sieben Zuschauer, die wir schließlich waren, eine Ansprache, eine instruktive Einführung, die es nicht nötig hatte, begeistert zu tun, weil ohnehin begeistert ist, wer die erste Werkschau überhaupt des dokumentarischen Spätwerks zustande bringt oder sich am Samstag abend für einen Dokumentarfilm von Werner Herzog im englischen Original ohne Untertitel entscheidet. Die Enttäuschung, mit einer Botschaft, die einem selbst wesentlich ist, vor nur sieben Zuhörern zu stehen, kenne ich nur zu gut. Um so dankbarer war ich, daß der Kurator der Reihe, der zugleich ihr Organisator und Geldbeschaffer ist, die Botschaft dennoch verkündete, als wären alle Reihen voll. Zugleich machte sich die Angst wieder in mir breit, weil ich mir nicht vorstellen konnte, daß Herzog mir soviel sagt wie früher; vielleicht daß es einen zulässigen Grund gehabt hätte, warum wir nur zu siebt waren. Seit der Enttäuschung mit Cobra Verde , in dem er seine eigenen Gebote trivialisiert, hatte ich keinen Spielfilm von ihm gesehen. Es schmerzt, wenn die Propheten nur noch besessen tun. Das ist bei mir nie ein Vorwurf; die Dankbarkeit herrscht immer vor, selbst bei einem Selbstgefälligen wie Günter Grass, in dem ich nicht mehr den rotzigen Autor der Hundstage zu sehen vermag, in der Rockmusik beinah bei allen, wenn sie sich nur nicht für Konzernfeiern oder die Benennung von Automodellen hergeben. Es ist die Trauer, daß auch Idole vergehen oder wir keine Verbindung mehr haben, keine alâqeh , wie das persische Wort für die Liebe heißt, das Großonkel Mohammad Ali benutzte, als Urgroßvater starb, wie Glieder einer Kette, damit sie besser hält. Wäre ich nur ein Zuschauer und nicht Parteigänger, wünschte ich mir, sie stürben früh oder verstummten, spielten Golf, was immer noch besser ist, als seinen Namen für ein Auto herzugeben, oder retteten Afrika. Grizzly Man , der Film, den ich schließlich sah, ist eine Bombe. Es ist in jedem Detail ein Werk von Werner Herzog, er hat alles, die Peinlichkeit der Selbstüberhöhung, welche in Wahrheit die Selbstverleugnung dessen ist, der nicht davor zurückschreckt, sich auszustellen, den Kinski und die autistischen Züge auch der anderen Darsteller, die religiöse Weltsicht ohne Gott, die brennende Liebe zur Natur und die nüchterne Einschätzung ihrer Gewalt, und doch ist er ganz anders als alles, was ich von Herzog kannte, ist Grizzly Man ein Werk, das jetzt geschieht und alles aufnimmt, was seither geschah. Nach drei Minuten meinte ich bereits begriffen zu haben, warum er nur noch oder vorwiegend Bericht erstattet. Eine Geschichte mit Schauspielstars und jungen Talenten, mit Helden und Geliebten, Entwicklung, Spannung, Auflösung und Ende, mit Dialogen, die so tun als ob, wäre in dem