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Unmenschlich erscheint er, nachdem auch er sich als Mensch erwiesen hat.
Da die Wirkung des Opiats nachgelassen hat, kann der Romanschreiber sich aufrichten und den Laptop auf die Beine legen, um zu notieren, wie die Frau auf die ersten vierzig Seiten der lesbaren Fassung reagierte, die er wie zu einem Laborexperiment im geschützten Raum (die Ehe glücklich wie lange nicht) verabreichte. Lange sollte er sich allerdings nicht gegen das Bettgitter lehnen, sonst muà er vorm Einschlafen noch mehr Rauschmittel nehmen. Ein Gift anderer Art wird ihm drahtlos eingeführt. Im Büro hat er nach der Rückkehr aus Rom auch die Telefonleitung gekappt, um wenigstens einen Ort zu haben, an dem er nicht bis nach China verbunden ist. Andere Schlüsse aus dem uroonkologischen Befund des letzten Jahres: daà er hin und wieder durchatmet, wenn es am hektischsten ist, sich freiwillig eine Viertelstunde vor der Zeit am Bahnsteig oder in der Abflughalle einfindet, vor einer Lesung niemanden trifft, sondern einen Fluà entlangläuft. Daà er sein Leben geändert hat, wie es die Philosophen unter den Ratgebern verlangen, darf er also nicht für sich in Anspruch nehmen. Als werde ihm die Kündigung um die Ohren geschlagen, erreichte ihn am persischen Neujahr auch noch ein Anruf, daà er in Vertretung des deutschen Islam einen Preis erhalten soll. Das Preisgeld entspricht etwa fünfzehn Lesungen oder fünf Vorträgen, fünfzehn oder fünf Tage ohne Schreibtisch, ohne Gutenachtgeschichte für die Ãltere, ohne Wiegenlied für die Frühgeborene, ohne rechtmäÃigen Sex. Die Frau sprach länger über die ästhetischen Mängel als über ihre eigenen Gefühle. Ohne es in der Härte auszusprechen, findet sie die Gedächtnisse der Toten langweilig, fragt sich, wieso sich jemand für Georg Elwert oder die Wehmut interessieren sollte, mit der sich der Romanschreiber an István Eörsi erinnert. Ãberhaupt sind es ihr zu viele Tote â aber doch nur am Anfang! â oder folgen sie zu schnell aufeinander â ab Seite hundert zu langsam! â, ohne daà sich erkläre, warum sie ihn beschäftigen. Wenn überhaupt etwas, hält sie die Zwischenstücke für passabel, also durchaus die Beschreibung ihrer Krise, die sie aus anderen Gründen unmöglich findet. Jaja, sie sieht schon den Triumph, den es für ihre Liebe bedeutet, daà er ihr die Seiten zu lesen gab, doch den Romanschreiber keineswegs als den Geplagten, als den er sich darstellt, ohne Anteil an ihrem Zerwürfnis, das Jahre zurückreicht, unschuldig an ihrer Krankheit, an ihrem Zusammenbruch, zermürbt aus den Gründen, die in jedem Handbuch für Betroffene nachzulesen sind, gleichzeitig aufopfernd für seine Tochter und trotz nachlassender Gefühle stets ein Halt für seine Frau. Der Romanschreiber vergesse ihre Wunden zu erwähnen, deute nicht einmal an, was vor der Intensivstation war. Vollkommen rätselhaft erscheint ihr im Rückblick, daà er innerhalb weniger Wochen sich abwechselnd trennen und ein zweites Kind haben wollte. Das stimmt, nur wird er den Kinderwunsch noch streichen und statt dessen den Zwiespalt verschärfen, sich um die Frau kümmern zu müssen, mit der er keine Zukunft mehr erwartet. Er schlug ihr vor, die eigene Version aufzuschreiben, sich seinetwegen zu erbrechen, wie er es nannte, es müsse ja keine Kunst sein. Auch dem Roman, den ich schreibe, täte es gut, fiele die Eigendarstellung der Protagonistin, die sie ist, möglichst gegensätzlich, sogar rabiat aus. Für eine Veröffentlichung, die ihm, Stand heute, 21. März 2009, 1:35 Uhr, wieder illusionär erscheint, müÃte er auch die Motive und Menschen aussortieren, die zu nichts führen, und die übrigen besser verteilen. Der FuÃballverein taucht fast nie auf und wäre auch zu billig, die Kneipe nur selten, das Theater ausschlieÃlich im Zusammenhang mit Claudia Fenner, dafür werden die Gegenwartsautoren Gäste, also zum Prinzip. Viel früher müÃte GroÃvater eingeführt sein, auf den der Roman zuläuft, den ich schreibe. Zu dessen Frömmigkeit fügt sich die Vertretung des deutschen Islam, die er daher in ein grelleres Licht rücken müÃte. Um die Rockmusik zu behalten, wie es sich als Kontrapunkt zur deutschen Literatur und iranischen Lebensbeschreibung anbietet, müÃte sie häufiger gehört werden. Um 1:43 Uhr
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