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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Wohnzimmer zog. – Ich weiß selbst, daß der Bauer Opium raucht, aber das ist nicht Ihre Angelegenheit, schrie Doktor Mossadegh: Sie sind hier ausschließlich zu meiner Bewachung. – Ich habe einen Fehler begangen, ich habe einen Fehler begangen, wimmerte Herr Schahidi. Obwohl er schwor, nie wieder einen Bauer zu behelligen, gab sich der gestürzte Premierminister, der auch als Greis, Gefangener und Demokrat noch ein Herrscher war, nicht zufrieden: Gib den Agenten kein Essen mehr, wies er den Koch an. Eine Woche lang mußten Herr Schahidi und sein Kollege, Herr Yussofchani, in die weit entfernte Stadt fahren, um sich Nahrungsmittel zu besorgen, die sie selbst zubereiteten, oder bei den Soldaten schnorren, bis Doktor Mossadegh den Bann wieder aufhob. Aus dem ganzen Land schlugen sich die Kranken, die mittellos waren, nach Ahmadabad durch, weil sie darauf vertrauen konnten, daß Doktor Mossadegh ihnen ein wenig Geld und eine Behandlung in dem Teheraner Krankenhaus besorgen würde, das seine Mutter gestiftet hatte. – Ich habe Ihnen nur das berichtet, was ich mit eigenen Augen gesehen habe, sagt der Koch, bevor er die Besucher zu dem Haus führt. Auf dem Grundstück stehen Bäume, die Mossadegh selbst gepflanzt haben dürfte. Ein befahrbarer Kieselweg führt zu dem zweistöckigen roten Ziegelhaus mit dem unüblich gewordenen Spitzdach, das nicht mehr als vier Zimmer, eine Terrasse und einen Balkon hat, ebenso schlicht wie schön. Als die Islamische Republik es während ihres kurzen Frühlings erlaubte, baute Mossadeghs Enkel, der als einziger Nachfahre noch in Iran lebt, einen Anbau, der als Museum dient. Auch Abfalleimer aus Plastik wie in deutschen Parkanlagen stehen entlang des Kieselwegs, und das Haus, von dem heute wieder niemand erfahren soll, wurde unter Denkmalschutz gestellt. Hinter einer Glasscheibe ist der türkise Pontiac zu sehen, in dem der Premierminister aus Teheran raste, wenn er wieder mitten in einer Sitzung seinen Rücktritt erklärt hatte. Die Fensterläden und Türen seines Hauses, fällt der Älteren auf, haben exakt die gleiche Farbe wie das Auto. Der gestürzte Premierminister ist unter dem Wohnzimmer begraben, einem kahlen Raum mit einem farbenfrohen Teppich auf schmucklosen Kachelfliesen. Nicht einmal als Leiche durfte er Ahmadabad verlassen. An den Wänden hängen eingerahmt Dokumente, Zitate und Photos, Doktor Mossadegh vor Gericht mit Stock bei seiner Verteidigungsrede, die zur Anklage wurde, Doktor Mossadegh mit Stock von hinten beim Spaziergang, Doktor Mossadegh mit Stock erschöpft auf dem Boden, in der Mitte der Grabstein, der von einem bestickten Tuch bedeckt ist, darauf der Koran, Blumen und Kerzen. Nacheinander legen die Besucher eine Hand aufs Grab und beten für die Seele Doktor Mossadeghs, auch der Fahrer. Im Auto erstaunt die Ältere alle mit der Frage, warum Iran Amerika bis heute vorwirft, Mossadegh gestürzt zu haben, wenn nicht einmal sein Dorf ausgeschildert sein darf. – Nicht die Freiheit hat 1979 gesiegt, zitiert der Fahrer Mehdi Bazargan, den ersten Premierminister nach der Islamischen Revolution und letzten Politiker, dem Großvater noch vertraute, nicht die Freiheit, sondern nur ein Schah mit Turban. Ein Romanschreiber könnte sich die List der Geschichte nicht perfider ausdenken: Während Bazargan aus Protest gegen die Besetzung der amerikanischen Botschaft zurücktrat, triumphierte mit Chomeini ein Anhänger jenes Geistlichen, der am 19. August 1953 für die Amerikaner das Geld an den Mob verteilt hatte. Entsprechend trägt der Boulevard unweit von Großvaters altem Haus am Teheraner Tor, der nach der Revolution zunächst Mossadegh-Straße hieß, längst den Namen Ajatollah Kaschanis. Entsprechend wird das Photo Mohammad Mossadeghs in die Höhe gehalten, wo immer heute Menschen in Iran für die Freiheit zu demonstrieren wagen. – Und der Stock? fragte der Enkel den Koch, können Sie sich an einen Stock aus Ebenholz erinnern, schwarz und mit feinsten Kuppen versehen, die in vollendeter Kunstfertigkeit mit hauchdünnen, geschwungenen Nagel aus Gold befestigt waren? – Kann sein, sagte der Koch, daß so ein Stock im Museum ausgestellt ist, aber leider besitze ich dafür nicht den Schlüssel.
    Anders als Kartschegan, wo es heute ein Kino geben soll, ist Scheich Wali ein Dorf geblieben, Lehmhäuser, Schafe, Ziegen, Hühner, die Gassen nur für

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