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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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fängt der Romanschreiber, der immer wacher wird, schon einmal mit YouTube an: Die zur Probe hochgeladenen Songs sind mit einer einzigen, unbeweglichen Billigkamera oder eher einem Handy aufgenommen, in das Neil Young aus kurzer Entfernung hineinschaut wie in eine Kloschüssel. Als Mikrophon hält er einen Apfel vor den Mund, in den er zwischen den Strophen beißt, so daß er das Mikrophon am Ende des Liedes aufgegessen hat, wo sonst Gott den Gottsucher, die Geliebte den Geliebten und der Bär den Bärenforscher verzehrt. Zum V-Effekt, der für den Roman, den ich schreibe, genauso zwingend ist wie der Apfel gerade auf YouTube , das Konjunktiv in Hagiographien oder das Textblatt in den Händen der Passionsspieler, selbst wenn sie den Text auswendig beherrschen, genügte es schon, von der ersten in die dritte Person zu wechseln, wie Jean Paul es während der Unsichtbaren Loge vorgibt: »Ich will es nur heraussagen, daß ich selber der Pate und diese neue Person bin; aber es wird meiner Bescheidenheit mehr zustatten kommen, wenn ich mich in einem Sektor, wo ich so viel zu meinem Lobe vorbringen muß, aus der ersten Person in die dritte umsetze und bloß sage Pate, nicht ich.« Daß in der Kunst jedwede Unmittelbarkeit die Verfremdung zwingend voraussetzt, bringt den Romanschreiber dazu, den wichtigen Hinweis nachzutragen, den der katholische Freund in seinem Brief aus Rom gibt: »Du schreibst, daß die Zelebranten des alten Ritus nicht firm waren und sich die einzelnen Handlungen zeigen lassen mußten. Das stimmt zwar, bezog sich aber meist auf Akte, die nur ein Kenner bemerkt. Das demonstrative unübersehbare Zeigen, das dir aufgefallen ist, gehört dagegen zum Ritus: Es soll offensichtlich sein, daß die Zelebranten nichts aus eigenem Willen tun, daß die Hierarchen nur ›willenlose‹ Instrumente des Ritus sind. Aus demselben Grund ist ihnen verboten, die Gebete, die sie tausendmal gebetet haben, auswendig zu sprechen, sie müssen immer ablesen und zwar halblaut, mit sich bewegenden Lippen – der Ritus mißtraut dem Denken, er bevorzugt das Tun.« Neil Young hat auch Proben bis nach China verstreut, das Lied bricht ab, Gespräche zwischen den Musikern, die nicht zu verstehen sind, jemand läuft durchs Bild, ein Techniker mit einem Sandwich, zwei Möbelpacker kehren nicht wieder, wie es im Roman, den ich schreibe, ebenfalls Menschen geben sollte, die durch einen Absatz laufen ohne Wiederkehr und diese groß angekündigte Verwandlung vielleicht ein großer Quatsch wäre. Er schreibe wie ein spazierender Hund, klagten schließlich auch Jean Pauls Kritiker, ohne daß Jean Paul selbst wohl widersprochen hätte, und selbst viele Verehrer Jean Pauls räumten die handwerkliche Schwächen seiner Romane ein, die Kuriositäten im Aufbau, die mangelnde Dichte, die fehlende Stichhaltigkeit der Motive und deren kunstlose Verschlingung, zumal Jean Paul selbst immer wieder den Eindruck weckt oder es sogar offen ausspricht, daß seine Romane der Überfülle seiner Einfälle und Gesichte nur eine notdürftige Form geben, und das ist noch viel im Vergleich zum Hölderlin der Frankfurter Ausgabe. Die Songs sind von einer Monotonie, Ungeschliffenheit und Beliebigkeit, als sei ihm alles so gleich wie einem Weisen oder Einfältigen. Aus den Kommentaren unter dem Video ist zu erfahren, daß viele Fans Neil Young von der Veröffentlichung abzubringen versuchen und sich sogar regelrechte Initiativen gebildet haben, um das Album zu verhindern. Das ist noch die Steigerung zur Klage wegen unkommerziellen Verhaltens, die seine Plattenfirma in den achtziger Jahren gegen ihn einlegte, und bringt den Romanschreiber um 3:09 Uhr dazu, dem Agenten endlich zu antworten, daß bis hin zu den Namenlisten alles zusammen erst den Roman ergibt, den ich schreibe. »Dien’ im Orkus, wem es gefällt! wir, welche die stille Liebe bildete, wir suchen zu Göttern die Bahn.«
    â€“ Wo geht es nach Ahmadabad? fragt der Fahrer vier junge Männer, die an einer Kreuzung zweier schnurgerader Landstraßen warten, obwohl weit und breit kein anderes Auto zu sehen ist. So unangenehm ist dem Regime die Erinnerung, daß nicht einmal das Dorf beschildert werden darf. – Zu Doktor Mossadegh? fragt einer der Männer zurück. – Ja, sagt der Fahrer. – Möge seine Seele froh sein, rufen die Männer im Chor und zeigen die Richtung.

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