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eigene Weise. Nicht einmal Ordner sind ausgewiesen, nur hier und dort steht jemand auf der Leitplanke und verkündet eine Nachricht, die sich wie Lauffeuer ausbreitet. Morgen um zwei vor den Vereinten Nationen. Nein, morgen um vier auf dem Freiheitsplatz. Streckt alle die Hände hoch! Vor Einbruch der Dunkelheit bitte auflösen. Es ist nicht klar, ob die Ordner sich spontan auf die Leitplanke gestellt haben oder einer Organisation angehören, die ansonsten unsichtbar bleibt. Seit deren Zentralen zerstört wurden, sitzen die Führer der Opposition, die noch nicht verhaftet worden sind, zu Hause und telefonieren. Einer taucht ohne Ankündigung, die zu gefährlich wäre, auf der Demonstration auf, aber hat nur ein Megaphon, um sich verständlich zu machen. Das Handy ist nur vormittags zu gebrauchen, Kurzmitteilungen gar nicht möglich, das Internet so langsam geworden, daà es mit Glück noch für E-Mails taugt. Fernsehsendungen und Feuilletondebatten im Westen ranken sich um den Mythos der ersten politischen Massenbewegung, die mittels Facebook, Twitter, SMS und Google Groups kommuniziert; tatsächlich ist die Bewegung auf Mund-zu-Mund-Propaganda zurückgeworfen. Die Demonstranten sind peinlich genau darauf bedacht, den Antikrawallkommandos, die hinter diesem oder jenem Häuserblock bereitstehen mögen, keinen Vorwand zum Einsatz zu liefern. An den groÃen Kreuzungen bleiben sie bei Rot stehen, damit die Autos passieren können. Wenn es grün wird, beeilen sie sich, um die entstandene Lücke schnell zu schlieÃen. Hundert Meter weiter fordert ein Ordner sie auf, wieder langsam zu gehen, damit die hinteren aufschlieÃen können. Da alle politischen Forderungen lebensgefährlich geworden sind, konzentriert sich die Demokratiebewegung darauf, die Einhaltung des Gesetzes zu fordern, was die gröÃte Provokation zu sein scheint. Ãberhaupt ist es kurios zu sehen, wie die Opposition dem Regime die Symbole geklaut hat. Während die Anhänger des Präsidenten nationalistisch mit der Landesfahne wedeln, um ihr religiöses Image abzulegen, tragen die Demonstranten, die nicht mehr in einer Theokratie leben wollen, das islamische Grün: jeder auf seine Weise als Schal, als Kopftuch, als Armband oder Schnur zwischen den Fingern. Die grünen Stirnbänder kannte man von den Freiwilligen, die im Krieg gegen den Irak auf die Minenfelder liefen, oder von der libanesischen Hisbollah. Jetzt werden sie zu ultramodischen Frisuren getragen und passen gut zu den schmalen Koteletten, die sich quer über die Wangen ziehen. Jeden Abend um zehn rufen Menschen in der ganzen Stadt »Gott ist gröÃer« von den Dächern und Balkonen, selbst der Zoroastrier, der den Berichterstatter später nach Hause fährt: Soweit hat uns die Islamische Republik gebracht, schimpft er, daà wir vor Verzweiflung Allâho akbar rufen wie Muslime. Daà Gott gröÃer ist, übertrifft dabei jede Parole an Gehalt: gröÃer als ihr, die ihr euch wie Götter aufführt. Gegen alle Vernunft schauen sich der Berichterstatter und sein Cousin nachts noch das FuÃballspiel an, das einen Sieger haben muÃ, damit Iran sich für die Weltmeisterschaft qualifiziert. Wie im Flipper schieÃen die Saudis den Ball vor den Strafraum der Nordkoreaner, wo er zufällig von Bein zu Bein kreiselt und in die eigene Hälfte zurückkullert. Weil beide Gegner sich dem Wettbewerb verweigert haben, bestraft der Schiedsrichter den Berichterstatter und seinen Cousin mit acht Minuten Nachspielzeit.
Wenn er nicht telefoniert, geht der Mentor zwischen den Reihen auf und ab und schaut aufgeregt in die Gesichter: Der Beginn der Reformbewegung fiel Mitte der neunziger Jahre mit der Rückkehr des Berichterstatters nach Iran zusammen. Zurück in Deutschland, muÃte er jedesmal Prügel für die These einstecken, daà dem Regime eine Opposition von innen erwächst. Sie sind jetzt beinahe Veteranen. Daà Leute wie sie zusammengefunden haben, steht für den Weg, den die Gesellschaft gegangen ist. Wenn sie sich zum Einkaufen das grüne Stirnband um den Tschador binde, erzählt die Tochter des Mentors, zeigten die Kinder der Reichen aus den Vans mit dem Finger auf sie und hupten vor Verwunderung, daà sie für die gleiche Sache demonstrieren. Anders als zu Beginn der Proteste, als drei Millionen Menschen aus allen Altersgruppen rings um den Freiheitsplatz zusammenkamen,
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