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verfügt. »Was ich dann tat und wie ich mich vom Druck befreite â dem natürlichen Bedürfnis jedes Menschen zu jeder Zeit an jedem Ort â, das sollte besser unerwähnt bleiben.« Von der Verrichtung der Notdurft in Teheran, was für ein Ãbergang!, springt die Mutter in die Urologie der Universitätsklinik Köln, wo dem Sohn soeben ein Hoden entfernt worden ist. Immerhin hat sie seinen Rat beherzigt und stellt Iran, auch das Iran ihrer Kindheit und Vorfahren, nicht mehr als ein Paradies dar. Mit Hilfe der Selberlebensbeschreibung, die ihre Cousine fünfundachtzigjährig in Vancouver verfaÃt hat und der Sohn, versprochen!, nicht mehr in den Roman flechten wird, den ich schreibe, geht sie ausführlich auf die Verfolgungen ein, denen der Bahai-Zweig der Familie an der Wende zum neunzehnen Jahrhundert ausgesetzt war â zwei Verwandte wurden geköpft, einer starb an den Folgen der Haft â, erzählt von ihrer selbstbewuÃten GroÃmutter mütterlicherseits, die sich von ihrem Mann trennte und stolz darauf war, von niemandem abhängig zu sein, schildert die Nöte und Unfreiheit der Mädchen ihrer eigenen Generation, auch die Nachstellungen, nicht selten Ãbergriffe der männlichen Umgebung, ohne daà sie mit ihren Eltern darüber zu reden wagten, und anderes mehr, alles erwähnenswert, erstaunlich emanzipatorisch â ihre Kritik an der arrangierten Ehe hat sie den Söhnen wohlweislich verheimlicht, als sie von der Tochter dieses oder jenen iranischen Arztes schwärmte, schau sie doch wenigstens einmal an â, alles fünfzig oder, wenn man die Selberlebensbeschreibung ihrer Cousine aus Vancouver hinzunimmt, hundert Jahre später mindestens für die Familie relevant, wahrscheinlich für eine iranische, eventuell auch für die allgemeine Leserschaft, würde jemand es bearbeiten; Rhythmus hat es und dramatische Situationen, die Panik der Tante etwa, die als Kind fürchtete, ihre Unschuld verloren zu haben, nachdem ihr der kahle, knochige Koch Mohammad Hassan einen Kuà zu geben versucht hatte, die Affäre der schönen GroÃtante, der Cousin oder GroÃonkel, der seinen kleinen Sohn abends als Alibi mitnahm und ihn die ganze Nacht im Auto, das er von auÃen abgeschlossen hatte, vor der Tür der Geliebten warten lieÃ, solche Geschichten, die GroÃvater natürlich verschweigt. Hier und dort müÃte man nachhaken, auch die guten Passagen etwas straffen, allein, es fällt nicht in die Zuständigkeit des Sohns, nicht jetzt, nicht diesen Sommer, da er eine lesbare Fassung des Romans zu erstellen versucht, den ich schreibe, und nebenher in der Germanistik forscht, was Jean Paul und Hölderlin verbindet (bis jetzt nicht viel, erschrickt der Sohn mit Blick auf seinen Auftritt als Poetologe). Um auf andere Worte zu kommen als den Schluà seiner Liebe, könnte der Sohn allenfalls die Geschichte der kleinen Sakineh von Seite 53 übersetzen, in der GroÃvater, selten genug, wenigstens am Rande auftaucht. Hingegen von der GroÃmutter ist genau zu erfahren, wie sie aussah und redete, wie sie die Abläufe im Haus reglementierte, mit Mohammad Hassan gleichzeitig schimpfte und scherzte, wie sie auf der Terrasse mit ausgestreckten Beinen gegen die Wand gelehnt ihre Zigaretten rauchte, nämlich so wie bis heute die Mutter. GroÃvater baute lediglich unter Herrn Steyr oder Stier die Vertretung der Nationalbank in Isfahan auf. Ja, das ist gut, damit verbringt der Sohn die nächste Stunde, ohne auf die Uhr zu schauen, vielleicht ist er danach müde genug, um den 30. Juli 2009 frühzeitig zu beenden: mit Sakineh, die GroÃmutter in einem der Dörfer rund um Kartschegan auflas, fünf oder sechs Jahre alt, schwächlich, mager, der Vater verstorben. »Gnäâ Frau, nimm dies Mädchen bei dir auf«, flehte Sakinehs Mutter sie an: »Der Mann, den ich für sie gefunden habe, will sie nun doch nicht, bin ohne Rat. Gott schenk dir ein langes Leben, gnäâ Frau, Gott bewahr dir deine Kinder.« Sakineh wuchs im Haus der GroÃeltern auf: »Ihre Wangen rundeten sich, ihre Haut färbte sich, die Lippen röteten sich, auf ihrem Kopf, den GroÃmutter wegen der Läuse wie üblich kahlrasiert hatte, wuchsen volle schwarze Locken. Sie war ein Mädchen voller Energie und Lebensfreude, immer gut für einen Scherz, für einen Streich. Mama schnatterte mit ihr wie mit einer
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