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der Leidenschaft schlägt.« Was Charlotte von Kalb weiter über Hölderlin schreibt, dürfte Jean Paul daher allenfalls menschlich angerührt haben: »Dieser Mann ist jetzo wütend wahnsinnig; dennoch hat sein Geist eine Höhe erstiegen, die nur ein Seher, ein von Gott belebter haben kann.«
Auf Seite 68 ihrer Selberlebensbeschreibung spricht die Mutter wieder den Sohn an, immer noch Spanien 2008, drei Uhr nachts am 4. Juli, und schildert aus ihrer Perspektive den Streit, der sie zu dem Wutschrei provozierte, nur die Bedienstete zu sein, die kolfat : »Ja, Navid, heute abend hast du aus Versehen mein Herz in Brand gesetzt, so daà die Flammen des Grams und des Vorwurfs, die ich die ganze Zeit bedeckt zu halten versucht hatte, aus meinem Mund loderten. Ich sprach aus, ich sprach aus, alles sprach ich aus.« Ach nein, das mag er sich nicht schon wieder anhören und schon gar nicht übersetzen, mit GroÃvater hat es ohnehin nichts zu tun, dessen Leben dem Roman genügt, den ich schreibe. Lieber forscht er weiter, was Jean Paul und Hölderlin im Roman verbindet, den ich schreibe. Obwohl Jean Paul es nicht einmal beabsichtigt zu haben scheint, liest sich seine Vorschule wie ein Gegenprogramm zur Dramen- und Dichtungstheorie, die Hölderlin im Allgemeinen Grund zum Empedoklesentwickelt. Ist etwa für Jean Paul Dichtkunst wie alles Göttliche im Menschen »an Zeit und Ort gekettet und muà [sie] immer ein Zimmermanns-Sohn und ein Jude werden«, so wählt der Dichter für Hölderlin »eine andere Welt, fremde Begebenheiten, fremde Karaktere«, um in den »künstlichen fremden Stoffe« seine »Totalempfindung« hineinzutragen. Aber mit dieser Empfindung ist ja kein Zahnschmerz gemeint, wie es bei Jean Paul geschehen kann, eine UnpäÃlichkeit, eine unangenehme Rezension oder einfach nur Schlechtwetter, das sich als Stimmung oder ausdrücklich als schlechte Laune in das jeweilige Kapitel überträgt. Nicht einmal das eigene Herzweh ist bei Hölderlin gemeint. Bis zur Selbstverleugnung, der Negation des empirischen Ichs, die sich den üblichen psychologischen Rückschlüssen vom Werk auf den Autor widersetzt, bemüht sich Hölderlin, das Drama des eigenen Lebens aus der Dichtung auszuscheiden, es gleichsam poetisch in Luft aufzulösen und allenfalls atmosphärisch in seine mythische Gegenwelt aufsteigen zu lassen, während für Jean Paul stets die Wirklichkeit »der Despot und unfehlbare Papst des Glaubens« bleibt. Wo Hölderlin Liebe, Sünde, Unsterblichkeit beschwört , beschreibt Jean Paul bis in die Nervenspannungen, Hautirritationen, Herzschläge und den Duft der SchweiÃausbrüche, wie es sich anfühlt zu lieben, zu fehlen und sich vor dem Tod zu fürchten. Unterhalten sich bei Hölderlin die Menschen wie in einem philosophischen Passionsspiel, seufzt Jean Paul, daà jedermann bei Gelegenheit ein ordentliches Gespräch mit Nebenmenschen zu führen imstande und gleichwohl nichts seltener sei »als ein Schriftsteller, der einen lebendigen Dialog schreiben kann«. Ein lebendiger Dialog im Sinne Jean Pauls wäre für Hölderlin das Gegenteil von Dichtung, die gerade nicht lebendig im Sinne von alltäglich, lebensnah sein soll. Er sieht im Genie ein Wunder der Reinheit und stilisiert den idealen Dichter zum göttlichen Medium, das fast ohne eigenes Zutun, wie ein Kind handelt. Zwar wirken im Dichter auch Not und Zucht, wie es in der Rhein-Hymne heiÃt, also der Leidensdruck des Empirischen und die angelernten Fähigkeiten, aber das eigentliche Wesen der Genialität liegt in der Naturhaftigkeit: »Ein Rätsel ist Reinentsprungenes. Auch / Der Gesang kaum darf es enthüllen. Denn / Wie du anfingst, wirst du bleiben, / So viel auch wirket die Not, / Und die Zucht, das meiste nämlich / Vermag die Geburt, / Und der Lichtstrahl, der / Dem Neugebornen begegnet.«
Erst im Drama ihrer ersten Liebe, das zu erzählen die Mutter sich also tatsächlich getraut hat â bravo! â, spielt GroÃvater wieder eine Rolle, wenngleich erst am SchluÃ: Obwohl die GroÃeltern strikt gegen die Verbindung sind und der ältere Onkel die Mutter beschimpft und einmal sogar ohrfeigt, als er sie mit ihm antrifft, ruft der Geliebte ständig zu Hause an, um die Herzen der Familie zu erweichen. Auch seine Eltern bitten um die Hand der Mutter und schalten Vermittler ein, gemeinsame
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