Dein Name
Uhr Teheraner Zeit, egal wie früh im Land der Franken: »Mir war, wie einem, der im Rauch ersticken will, und Türen und Fenster einstöÃt, um sich hinauszuhelfen, so dürstet ich nach Luft und Freiheit.« Wenn es gelänge â aber wie? â, noch einmal Hunderttausende oder Millionen auf die StraÃe zu bringen wie vor der Predigt des Führers, könnte es in Teheran und Ghom auch hinter den Kulissen zu einer Revolte kommen. Wenn nicht, herrscht in Iran nicht mehr der Rechtsgelehrte, sondern herrschen Knüppel, Wasserwerfer und SchieÃgewehre; wenn nicht, wird der Berichterstatter seinen Onkel nicht wiedersehen.
Mehr Zeit zum Nachdenken als GroÃvater im Taxi hat der Enkel seit seiner Rückkehr nicht gehabt, als er zwei Tage beziehungsweise sechsundfünfzig Jahre später in einem Fahrstuhl hinauffährt, um statt eines Stocks Nachrichten zu überbringen. Als sich die Schiebetür öffnet, erwartet ihn exakt einen Handschlag entfernt, als sei die Stelle auf dem bläulichen Teppichboden markiert, die Bundeskanzlerin: Glücklich das Land, das keine Helden mehr braucht. Vier Vorzimmer hatte sich der Enkel vorgestellt und trifft eine Frau, an der ihm sofort gefällt, daà sie nicht hierherzugehören scheint. Der Routine, einen Fremden zu begrüÃen, meint er noch immer etwas Unsicheres, Ungelenkes anzusehen. Er selbst hat auch keine Ahnung, wohin er in der Tennishalle gehen soll, die er fälschlich für ihr Büro hält, und so stehen sich die Bundeskanzlerin und der Enkel vor dem Aufzug zwei Sekunden zu lang, als daà ihnen die Verlegenheit unbemerkt bleiben könnte, mit herunterhängenden Armen schweigend gegenüber. Wo sie wohl noch eben mit den Gedanken war, würde er gern fragen und erzählen, an wen er im Fahrstuhl dachte. Gerade als er erleichtert das Frühstück auf dem Konferenztisch entdeckt, auf das er zusteuern könnte, fällt ihr ein, daà Besucher gewöhnlich aus dem groÃen Fenster auf Berlin schauen. Nachdem sie das Panorama erledigt haben, setzen sie sich an den Konferenztisch. Daà es der Bundeskanzlerin an Charisma vollständig gebricht, vor allem aber: daà sie es nicht künstlich herzustellen sucht, macht ihr Charisma aus, das den Enkel gegen alle Vorsätze, sich nicht blenden zu lassen von Bekenntnissen zu Freiheit und Menschenwürde, dann doch entwaffnet. Eine Sekretärin betritt den Raum und schenkt ihm Kaffee ein. Als sie die Tür schon wieder hinter sich geschlossen hat, bemerkt die Bundeskanzlerin verdutzt, daà ihre Tasse leer geblieben ist. Im ersten Augenblick will sie die Sekretärin zurückrufen, bricht dann in der ersten Silbe ab, um die Kaffeekanne selbst vom anderen Tischende zu holen. Da der Enkel näher an der Kanne ist, kommt er ihr zuvor und schenkt den Kaffee ein. Beide haben keine Zeit für Rituale, nämlich nur eine Stunde: Ich nehme mir schon Milch, danke, kein Zucker. Viele Amtsträger hat der Enkel als Berichterstatter erlebt, in vielen Staaten; manche Züge gleichen sich bis in die Rathäuser hinab und sind offenbar doch vermeidbar, stellt er überrascht fest. Der Aufmerksamkeit, die die Bundeskanzlerin ihm schenkt, fehlt jegliche Besserwisserei, alles Joviale, jedes Mir braucht keiner zu erzählen, wie die Welt ist. Als sei sie die Schülerin, er ihr Lehrer, nein: Trainer, macht sie sich Notizen, fragt nach, wenn sie etwas nicht versteht, und gesteht Wissenslücken, die anderen peinlich wären. Den Namen Mossadegh zum Beispiel hat sie offenbar nie zuvor gehört, aber als der Enkel an Leipzig und Bautzen erinnert, glaubt er zu sehen, was sich vor ihren Augen abspielt. Jetzt redet sie auch, aber nicht, um den Enkel zu belehren oder sich zu erklären. Sie will nur sichergehen, alles richtig verstanden zu verhaben. Ja, genau, bestätigt der Enkel. Ihre anschlieÃende Frage, was sie tun und besser nicht tun soll, um den Iranern zu helfen, wirkt so unmittelbar, daà er ihr die Empathie trotz ihres Beifalls für die Kriege im Irak, in Gaza und gegen die Bootsflüchtlinge abnimmt. Er kündigt neun Empfehlungen an, die er auf einem Zettel vorbereitet habe, drei davon für den amerikanischen Präsidenten, zu dem sie in drei Stunden fliegt. Noch fünfundzwanzig Minuten, sie liegen gut in der Zeit. Nunmehr wie zwei Klassenkameraden, die eine gemeinsame Arbeit einreichen müssen, achten sie darauf, bis zum Ende der Stunde alle
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