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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Bekannte, die sich um die Zustimmung der Großeltern bemühen. Als die Bekannten unverrichteter Dinge wieder gegangen sind, versucht Großvater vergeblich, die Stimmung mit einer Geschichte aus dem Masnawi aufzuhellen: »Ein Gemüsehändler war in eine Frau verliebt und schickte Botschaft durch die Dienerin der Dame: ›Ich bin so und ich bin so, ich liebe, ich bin entflammt, ich finde keinen Frieden, mir ging es gestern so und so, letzte Nacht passierte mir dies und jenes …‹, und trug lange Erzählungen vor. Die Dienerin kam zu der Dame und sagte: ›Der Gemüsehändler läßt dich grüßen und sagt: ›Komm, damit wir das eine tun!‹ ›So kalt?‹ fragte die Dame. ›Nein, er hat lange geredet‹, antwortete die Dienerin, ›aber der Sinn war ebendies.‹« Der Geliebte, der ihr Mitschüler ist, gibt nicht auf: Als das Abitur ansteht, schickt er der Mutter eine Botschaft, sie solle, um ihre Zeit nicht mit Arabischlernen zu verschwenden, ein leeres Blatt abgeben; er würde einen zweiten Fragebogen ausfüllen und ihren Namen darauf schreiben: »Ich Idiotin hatte keine Ahnung, daß er bereits zweimal durch die Arabischprüfung gefallen war. Ich hatte von nichts Ahnung und dachte überhaupt nicht nach, sondern tat in Trance alles, was er von mir wollte. Die Prüfung stellte sich als einfach heraus, ich beantwortete alle Fragen und gab mein Blatt dennoch wie vereinbart ab, ohne meinen Namen darauf zu setzen. Eine Woche später kam Papa später als gewöhnlich nach Hause. Auch wenn er nichts sagte, genügte sein zorniger Blick, damit mein Blut gefror. Ich fühlte mich schuldig, ohne auch nur zu vermuten, worin meine Schuld bestand. Gesenkten Blicks schlich ich in mein Zimmer und wartete. Nichts war zu hören; ich spürte nur den Kummer, der sich auf das Haus gelegt hatte – aber weshalb? Weil mein jüngerer Bruder zum Studium ins Land der Franken geflogen war? Mahmud wohnte doch gestern auch schon nicht mehr bei uns. Weil Doktor Mossadegh der Prozeß gemacht wurde? Beim Abendessen wurde kaum ein Wort gesprochen, früh gingen wir schlafen. Draußen war es noch dunkel, als mich eine Stimme weckte. Papa stand an meinem Bett. ›Zieh dich an‹, sagte er ernst: ›Wir müssen gehen.‹ ›Wohin?‹ fragte ich, ohne eine Antwort zu erhalten. Eilig kleidete ich mich an und trat aus dem Zimmer. Vor dem Haus wartete bereits die Kutsche. Wir stiegen auf, und Papa nannte dem Fahrer die Adresse des Onkel Oberstleutnants. Auf dem ganzen Weg wechselte er kein einziges Wort mit mir. Als wir abgestiegen waren, klopfte Papa gegen das Tor, ein Diener öffnete uns, und ich folgte ihnen durch den Park zum Haus, in dem kein Licht brannte. Vor Angst hatte ich Magenkrämpfe und zitterte ich am ganzen Leib. Papa führte mich in ein Zimmer, setzte sich auf einen Stuhl und wies auf den Stuhl neben sich. Dann führte er die Hand in seine Jackentasche, zog zwei Blätter hervor, faltete sie auf und hielt sie mir hin: der Arabischtest. Das Blatt, auf dem kein Name stand, hatte ich selbst ausgefüllt. ›Achtzehn Punkte‹, hieß es darunter in Rot, achtzehn von zwanzig möglichen Punkten, ›sehr gut‹ also und doch: ›Nicht bestanden wegen Täuschungsversuch.‹ Das andere Blatt, auf dem oben mein Name stand, hatte mein Geliebter ausgefüllt: ›Acht Punkte. Nicht bestanden.‹ Papa war kreidebleich. Mit tiefen Furchen unter den Augen und eingefallenen Wangen sah er mich traurig an. Ich blickte zu Boden und fing wieder zu zittern an; unversehens beugte ich meinen Kopf auf die Knie, raufte mir die Haare und heulte wie ein kleines Mädchen. Weder Papa sagte ein Wort noch ich, nur mein Schluchzen war zu hören. Schließlich stand Papa auf und ging im Zimmer auf und ab, immer noch schweigend, verfolgt von meinen ängstlichen, schuldbewußten Blicken. Dann setzte er sich wieder, nahm meinen Kopf zwischen seine Hände und trocknete mit einem Taschentuch meine Tränen. Er schaute mir in die Augen, seine Lippen bebten. Was er noch sagte – ich weiß es nicht mehr. Ich erinnere mich nur daran, daß er zu sprechen begann. Und an seine letzten Worte habe ich mich immer erinnert: ›Wenn du ihn weiterhin heiraten willst – gut, du bist frei. Aber solange ich atme, werde ich nicht zulassen, daß mein Kind die Tochter eine solchen Lumps wird. Komm, töte

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