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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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zu einer nennenswerten Reaktion führen wird, weder zum Widerstand noch zur Wut. Sie wird es genauso leidenschaftslos hinnehmen wie wenn er erklärte, sie zu lieben, was ebenfalls stimmt. »Soll es werden auch mir, wie den Tausenden, die in den Tagen / Ihres Frühlings doch auch ahndend und liebend gelebt, / Aber am trunkenen Tag von den rächenden Parzen ergriffen, / Ohne Klag’ und Gesang heimlich hinuntergeführt / Dort im allzunüchternen Reich, dort büßen im Dunkeln, / Wo bei trügerischem Schein irres Gewimmel sich treibt, / Wo die langsame Zeit bei Frost und Dürre sie zählen, / Nur in Seufzern der Mensch noch die Unsterblichen preist?« Gestern abend telefonierte er mit der Frau in strömendem Regen vor dem chinesischen Turm des Englischen Gartens, auf dem eine Blaskapelle spielte, und horchte fünfundvierzig Minuten vergeblich nach einem Grund, weshalb seine Resignation verfrüht sein könnte. Hinter ihm warteten zweihundert Gelehrte, die auch über Liebesdinge mehr gelernt haben dürften, unter dem Vordach des Restaurants auf den Einlaß zu einem Festessen. Während ein Gang nach dem anderen serviert wurde, schmorte er im Liebeskummer wie ein Jugendlicher und brannte im Schuldgefühl als Vater. Stünde das Wort Scheidung nicht schon geschrieben, würde er es morgen vielleicht nicht aussprechen. So aber wird er tun, wozu ihm selbst Karl Otto Hondrich riete, der am 16. Januar 2007 starb. Während der Romanschreiber für die Erstellung einer lesbaren Fassung noch einmal den Stapel mit Hondrichs Aufsätzen, Besprechungen und Büchern durchgeht, schüttelt er manchmal den Kopf und nickt bei der Antwort ebenso spontan wie heftig, die Hondrich auf die Frage einer Zeitung gab, ob es der eigenen Beziehung eigentlich helfe, die Liebe soziologisch einordnen zu können? »Nein. In den entscheidenden Dingen hilft es nicht.« 10:43 Uhr.
    Daß die Mutter nichts auf Chronologie gibt, stellte der Sohn bereits bei der kursorischen Lektüre der siebzig neuen Seiten fest. Nach dem Sturz Mossadeghs kommt ihr nicht nur der Besuch in der Uroonkologie in den Sinn, sondern in derselben Abschweifung noch alles mögliche, was der Sohn in Isfahan überging, ausführlich die Waise, die ihre Notizen abtippte, und daß die meisten gutausgebildeten jungen Leute wie der Inhaber des Kopiergeschäfts das Land verlassen wollten. Auf der Fahrt zum Flughafen verwickelte sie »gegen die Anordnung meines Mannes«, wie sie spottet, den Taxifahrer wie gewöhnlich in eine Diskussion über Politik, die unverschämtesten Witze auf die Oberen von Staat und Religion, die man sich in Iran bei jeder Gelegenheit erzählt, überhaupt das übliche Orchester selbst von Alltagsunterhaltungen aus Anspielungen, Höflichkeitsfloskeln, Derbheiten, Anzüglichkeiten und bei allem Respekt, den Großvater freilich vermißte, den Ulk mit den Älteren; obligatorisch die Kritik an den Zuständen, allen Zuständen. Zuerst freute sich die Mutter, wie großzügig, wie sauber, wie ordentlich der neue Flughafen sei, fast wie im Ausland, bis sie auf der Toilette wieder die Islamischen Republik betrat, deren Gäste nach Ankunft und vor Abreise durch gelbliches Wasser tapsen müßten, um ihre Notdurft zu verrichten. »Die Knappheit und der Zustand öffentlicher Toiletten und das Desinteresse der Verantwortlichen für die elementaren Bedürfnisse der Menschen gehört zu den Ärgernissen, mit denen jeder Mensch konfrontiert ist, der in Iran lebt«, klagt sie und berichtet, wie sie am Tag vor ihrem Abflug in der Gegend rund um den Revolutionsplatz, wo sie für ihren Sohn nach Büchern über Seyyed Zia Tabatabaí suchte, dringend aufs Klo mußte. Egal, wen sie fragte, niemand konnte helfen, weil niemand im Zentrum von Teheran je von einer öffentlichen Toilette gehört hatte. Schließlich verwies jemand sie zu einer Moschee, die sie nach vielen Verirrungen erreichte, nur um die Türen verschlossen vorzufinden, denn wer geht noch werktags beten in Teheran? Ungleich weniger Gläubige als in Rom, wo es selbst in San Lorenzo di Lucina werktags mindestens sechs oder sieben sind. Als Großvater täglich die Moschee besuchte, nahmen am Gemeinschaftsgebet immerhin noch die Arbeiter und Bauern teil, die 1979 den Staat mit der Folge übernahmen, daß nicht einmal mehr der brandneue Großflughafen über saubere Toiletten

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