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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Aufgaben erledigt zu haben. Selbst den Großvater bringt der Enkel in die Weltpolitik ein: Der amerikanische Präsident, empfiehlt er als Punkt acht, möge sich zum Putsch von 1953 bekennen, mit dem sich das Regime gerade wieder täglich rechtfertigt, und erklären, daß die Vereinigten Staaten aus der Geschichte gelernt hätten und 2009 nicht wieder auf der Seite der Unterdrücker stünden. Und dann möge der Präsident fragen, warum in ganz Teheran keine einzige Straße nach Doktor Mossadegh benannt sei. Diesmal läßt sich die Bundeskanzlerin den Namen mitsamt Vornamen buchstabieren. – Doktor Mossadegh genügt. Für den Roman, den ich schreibe, wäre es besser, wenn der Enkel eine irgendwie schillernde Persönlichkeit angetroffen hätte, aber nicht unbedingt besser für Deutschland. Sie scheint mit dem heutigen Frühstück ebenfalls zufrieden zu sein, die frechen, abschätzigen Halbsätze über diesen und jenen Amtskollegen fallen jetzt ohne Vorsicht. Auch das Stöhnen über ein Regierungsmitglied geschieht off the records , ohne daß sie darauf hingewiesen hätte. Punkt neun vor der Fahrstuhltür reicht ihre Zeit noch für einen Witz über den Preis, der dem Enkel aberkannt worden ist. Da muß er mit einer, tja: seiner Regierungschefin lachen. Das war nun also die maximale Wirkung, auf die ein Romanschreiber, ein Berichterstatter, der Enkel eines Großvaters aus Isfahan im freien Westen hoffen darf: die eine oder andere Formulierung in einer der Pressekonferenzen der nächsten Tage könnte er beeinflußt haben, vielleicht nur die Erwähnung Leipzigs und Bautzens bewirkt. Daß die Vereinigten Staaten aus der Geschichte gelernt haben, hätte sich vielleicht Großvater eingebildet. In Wirklichkeit weist kein Schild nach Ahmadabad.
    Warum also Jean Paul und Hölderlin? Beide wurden nicht weit voneinander entfernt, nur durch ein paar Jahre getrennt, in protestantischen Pfarrhäusern geboren, beiden starb der Vater früh, beide waren für das Kirchenamt vorgesehen, studierten zunächst Theologie, waren und mehr noch: wurden auf je verschiedene Weise dezidiert christliche Dichter, beide verfaßten ihre bedeutendsten Werke und hatten zu Lebzeiten ihre größte Bekanntschaft im selben Jahrzehnt vor und nach der Wende zum neunzehnten Jahrhundert, beide bezogen sich auf Herder und Fichte, beide besuchten Goethe und Schiller, die sich über beide abfällig äußerten, immer wieder hätten sich ihre Wege beinahe gekreuzt, in Frankfurt, in Jena, in Heidelberg oder schon früh im fränkischen Waltershausen, wo Hölderlin bis 1795 als Hausmeister der Familie Charlotte von Kalbs arbeitete, die wiederum 1796 zur Förderin und Freundin Jean Pauls wurde; und noch ihre Wiederentdeckung geschah zur selben Zeit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts im selben Kreis um Stefan George – man könnte es Zufall nennen, daß sie sich offenbar nie begegneten, oder bezeichnend, daß sich keiner von beiden, soweit ich sehe, je über den anderen äußerte.
    Daß er in der Arbeit an einer lesbaren Fassung den Pragmatismus in Liebesdingen erreicht hat, den er in der Urschrift nach dem 16. Januar 2007 von Herzen teilte und am 16. Juli 2009 nicht mehr aushält, soll den Romanschreiber wohl verhöhnen, der Hölderlin nicht glaubte. Um 9:40 Uhr kündigt er bei der Abfahrt in München erstmals im Roman an, damit es geschrieben steht, daß er sich heute oder vielleicht besser morgen, wenn er die Ältere ins Ferienlager gefahren hat, von der Frau trennt oder nicht trennt, nichts Endgültiges, Melodramatisches verkündet, doch wenigstens ausspricht, daß er die Ehe, wie sie geworden, nicht fortsetzen möchte, weil ihm ein Rest von Leidenschaft, von sei es auch nur in Lektüren entstandenen Vorstellungen romantischer Liebe und Achtung der Schöpfung gegenüber, die wir genießen, für die wir dankbar sein sollen, weil ein Rest von Selbstachtung auch es unmöglich macht, eine Frau als seine zu betrachten, deren Pragmatismus selbst Jean Paul alle Argumente aus der Hand geschlagen hätte. So ernsthaft er die Alternativen erwägt, am Ende steht die niederschmetternde Einsicht, daß nicht einmal die – und sei es nur vorläufige, aber ihrer Ernsthaftigkeit willen auf jeden Fall allseits zu verkündende – Trennung, die er heute oder vielleicht besser morgen aussprechen wird,

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