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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Freundin, und wie eine ältere Schwester liebten wir Schwestern sie und spielten mit ihr jeden Tag. Elf, zwölf Jahre war sie inzwischen, als eines Tages Sakinehs Mutter im Hof stand: ›Wollt’ meine Tochter zurück, gnä’ Frau, hab ’nen guten Gatten für sie gefunden.‹ Ein guter Gatte, das wußten selbst wir Kinder, bedeutete einen guten Preis und sonst gar nichts. Gleich, was Mama ihr entgegenhielt – ›Frau, laß die Finger von diesem Mädchen, ihr Mund riecht noch nach Milch‹ –, Sakinehs Mutter hörte und hörte nicht. Papa kehrte nachmittags aus der Bank zurück und redete nun ebenfalls auf Sakinehs Mutter ein – vergebens: Nach einer Nacht voll Tränen nahm die Mutter Sakineh mit aufs Dorf. Den ganzen Tag über saßen wir betrübt und sorgenvoll auf der Veranda. Wir vermißten Sakinehs Lachen, Sakinehs Scherze, Sakinehs Streiche. Keine Woche war vergangen, als wir Papa im Zimmer am Hoftor, wo er die Bauern empfing, laut sein ›Gott steh mir bei!‹ rufen hörten, ›Gott steh mir bei und vergib mir meine Sünden!‹ Bald eilte Mama ins Zimmer, und wir sahen durchs Fenster, wie sie mit den flachen Händen auf ihren Kopf schlug, immer wieder auf den Kopf. ›Mögest du nichts Gutes mehr sehen, Frau!‹ schrie Mama: ›Mögest du verbrennen, Frau! Was hast du getan, was hast du mit deiner Tochter getan?‹ Entsetzen ergriff uns. Mama schlich totenbleich an uns vorbei ins Haus zurück. ›Es ist nichts, es ist nichts‹, murmelte sie, als wir ihr hinterherliefen: ›Geht spielen.‹ Jahre später erst weihte uns Mah Soltan ein. Noch in der Nacht, als sie aus der Stadt kam, hatte der Kerl sie bestiegen. Am nächsten Morgen öffnete man die Tür: Da lag Sakineh nackt auf dem Laken voller Blut, tot, und neben ihr schnarchend der Kerl. Als man ihn weckte, beteuerte er, nichts gemerkt zu haben. ›Gott verfluche ihn‹, seufzte Mah Soltan. So endete die Geschichte von Sakinehs kurzem Leben. Wir weinten um sie, wie wir um eine Katze geweint hätten, die vor unseren Augen vom Nachbarhund in Fetzen gerissen wird. Mehr war es auch nicht. Niemand von uns hatte etwas für sie getan, außer ein paar Tränen zu vergießen.« Daß die Frau, der in Iran die Steinigung droht, den gleichen Namen trägt wie Sakineh und wie die göttliche Ruhe in der Santissima Trinità dei Monti, sei wenigstens erwähnt. Niemand von uns tut etwas für sie, außer ein paar Tränen zu vergießen.
    Nur eine Stelle in der Vorschule der Ästhetik ist mir aufgefallen, in der sich der eine auf den anderen beziehen könnte, und die könnte despektierlicher kaum sein, wenn nämlich Jean Paul von den Dichterzwergen spricht, die ihre Kleinheit hinter der Höhe ihres Stoffs verstecken, »da große Gegenstände schon sogar in der Wirklichkeit den Zuschauer poetisch anregen – daher Jünglinge gern mit Italien, Griechenland, Ermordungen, Helden, Unsterblichkeit, fürchterlichem Jammer und dergleichen anfangen, wie Schauspieler mit Tyrannen«. Ob damit auch Hölderlin gemeint ist oder nicht, so bestätigt jedenfalls ein Brief der gemeinsamen Gönnerin Charlotte von Kalb vom 28. Januar 1806 Jean Pauls Desinteresse: »Ich las vor einigen Tage die Briefe von Hölderlin wieder, die drei, so ich mir aufbewahrte. Einst gab ich sie Ihnen zu lesen, Sie haben sie nicht geachtet, wie ich meine.« Warum sollte ich auch, wird sich Jean Paul gedacht haben, könnten seine eigene Sprache, Motivwelt und Poetik kaum unterschiedlicher, ja gegensätzlicher sein. Dort Hölderlin, für den die Begeisterung nicht bloß ein notwendiger Zustand des Dichtens im Sinne Platons, sondern zum Gegenstand der Dichtung selbst wird, zu ihrem gleichsam substanzlosen Wesen. »O Begeisterung! so finden / Wir in dir ein selig Grab, / Tief in deine Woge schwinden, / Still frohlockend, wir hinab, / Bis der Hore Ruf wir hören, / Und mit neuem Stolz erwacht, / Wie die Sterne, wiederkehren / In des Lebens kurze Nacht.« Hier Jean Paul, dem eine solcher Enthusiasmus als Selbstzweck vollkommen leer erscheinen muß, da er gerade zu der Zeit, als ihn der Brief Charlotte von Kalbs erreicht, in der Vorschule zur Ästhetik die Besonnenheit als erste Eigenschaft des Genies hervorhebt: »Keine Hand kann den poetischen, lyrischen Pinsel fest halten und führen, in welcher der Fieberpuls

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