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neue Verleger rät, die Direktrice zu behalten, von der er sich wohl noch allerhand erwartet, tendiert der Romanschreiber in Kenntnis ihrer Zukunft dazu, die Direktrice in der öffentlichen Fassung zu streichen, obwohl es seiner Poetik entspräche, gerade die Rohrkrepierer zu dokumentieren. Auch er ein Feldherr, nur leider nicht in Liebesdingen, deutet er dem neuen Verleger die Konzession noch nicht an: Wenn er die Direktrice erst im Laufe des Lektorats nach heftiger Gegenwehr wehklagend räumt â hätte ich doch bloà in Frankfurt unterschrieben! â, wird er andere Stellungen leichter halten können. Der neue Verleger spekuliert bereits über den Ladenpreis, den Umfang: was für ein Riesenknödel!, einen griffigeren Titel, als er im Vertrag steht, und die günstigste Erscheinungswoche. Daà sich die Veröffentlichung je nachdem, was noch In Frieden geschieht, verschieben kann, auf 2011, 2012 oder wann auch immer, erwähnt der Romanschreiber jetzt besser nicht, schlieÃlich ist die Unterschrift unter den Vertrag noch kaum getrocknet, der den Herbst 2010 vorsieht. â Geliebts dem Himmel, lügt der Romanschreiber statt dessen mit Jean Paul, um vor dem neuen Verleger nicht Gott ins Spiel zu bringen, geliebts dem Himmel, daà bis dahin niemand stirbt, werde ich die lesbare Fassung rechtzeitig zur Poetikvorlesung abgeschlossen haben. â Warum zur Poetikvorlesung? fragt der neue Verleger. â Um den Schluà wieder in Echtzeit zu schreiben, erklärt der Romanschreiber. Poetologisch ist der Roman, den ich schreibe, erst zu Ende, wenn der Romanschreiber selbst stirbt, aber auch faktisch erst nach Drucklegung. â Noch das Satzbild, die Gestaltung des Umschlags und die Fahnen wollen Sie also ins Buch selbst aufnehmen? malt sich der neue Verleger den Vorgang aus und blickt zur Bücherwand, als frage er sich, ob es so einen Roman schon mal gab. Am liebsten möchte der Romanschreiber lose Blätter eingelegt haben. Der neue Verleger kommt an den Konferenztisch und blickt ernst zum Romanschreiber, der auf der anderen Tischseite abwechselnd tippt und zum neuen Verleger heraufschaut. So einen Roman schreibe man nur einmal im Leben, murmelt der neue Verleger und verspricht â Achtung, die Uhrzeit, um der Faktizität gerade an dieser Stelle konsequent auf der Spur zu bleiben â verspricht am Montag, dem 9. November 2009, um 12:47 Uhr: Ich bring Sie ganz groà raus, lieber Navid Kermani! In der Vorschau Platz eins, übersetzt der Romanschreiber rasch im Stillen, Fernsehauftritte und Werbeständer in den Auslagen der Buchhandelsketten. Soweit ist er also schon, bei den üblichen Phantastereien, die ihn bisher nach jedem Roman allzu nüchtern hinterlieÃen. Andererseits bleibt er hier im Roman und ist im Idealen alles möglich.
Bei dem Verlag in Frankfurt hat sich der Romanschreiber so überschwenglich für das Interesse bedankt, daà er hoffen darf, im selben Jahresordner wie der späte Peter Handke vertreten zu sein.
Ein weiteres Paradox besteht darin â und Selbsterkenntnis ist bekanntlich ihrer Struktur nach paradoxal â, daà ich mich sprachlich zum Mittelpunkt der gesamten Welt erklären muÃ, um überhaupt begreifen zu können, daà alle anderen Menschen genauso »Ich« sagen und die Welt sozusagen viele Mittelpunkte hat. Mit dem SelbstbewuÃtsein wird sich das Kind zugleich bewuÃt, daà jeder Mensch, der »Ich« sagt, auf sich selbst Bezug nimmt. Es versteht, daà »Ich« nicht das gleiche wie ein Name ist und sie nicht auf dieselbe Weise verwendet werden. Wer »Ich« zu sagen lernt, entdeckt zugleich, daà die Welt aus anderen Ichs besteht, denn gäbe es nur mich, hätte das Wort keine Bedeutung. Das Ich, das sich mit dem BewuÃtsein seiner selbst auch anderer Ichs bewuÃt wird, beginnt damit bereits, die eigene Wichtigkeit zu relativieren, bis in höherem Alter der schon sprichwörtliche Anblick des beschirmten Himmels am Ende von Kants Kritik der praktischen Vernunft »gleichsam meine Wichtigkeit vernichtet«. Oder mit Jean Paul: »Wenn ihr wüÃtet, wie wenig ich nach Jean Paul Friedrich Richter frage; ein unbedeutender Wicht; aber ich wohne darin, im Wicht.« Was in den Versen des achtzehnjährigen Hölderlin nach pubertärer Aufklärung oder wie ein betrunkener Fichte klingt, hat tiefere Wurzeln, die bis zu Spinoza, der christlichen Mystik und der
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