Dein Name
nicht versehentlich gestrichen habe, wies ich relativ am Anfang bereits darauf hin, daà er, der sonst nur Enkel, Sohn, Vater, Mann, Leser, Liebhaber, Nachbar, Handlungsreisender oder Freund, regelmäÃig Berichterstatter, dann wieder Orientalist, ein Jahr lang die Nummer zehn, an einigen Stellen Navid Kermani und seit kurzem auch Poetologe genannt wird, in Ausnahmefällen in die erste Person wechselt: Wenn jemand stirbt, sagt der Romanschreiber ich . Und wenn er liest, sagt er ebenfalls ich . Die zweite Ausnahme hätte ich allerdings allgemeiner formulieren müssen, da er nicht nur als Leser in der ersten Person spricht, sondern wann immer er sich in einem ästhetischen oder religiösen Erleben verliert, also auch in einem Konzert oder vor einem Gemälde, in einer Kirche oder im stillen Gebet. Nun gibt es eine dritte Ausnahme, die ich überging, um Sie groÃgeschrieben nicht mehr zu verwirren als Jean Paul seine Leser, eine Ausnahme, die sich im Laufe des Romans, den ich schreibe, so häuft, daà sie beinahe zur Regel wird: Auch wenn er das Leben seines GroÃvaters beschreibt, wechselt der Romanschreiber in die erste Person. Wichtig wird eine andere, eine ihm beinah fremde Person, ungefähr 1894 in einem anderen Land geboren, ebendort 1986 gestorben. Daà es das Leben seines GroÃvaters bleibt, nicht etwa das Leben meines GroÃvaters, obwohl der Romanschreiber als Enkel in erster Person spricht, ist ein Hinweis darauf, daà das Ich in der Literatur auch und erst recht dort ein Er ist, wo es Ich sagt. Nur dort, wo es auf das Ich nicht mehr oder noch nicht wieder ankommt, erlaubt sich der Romanschreiber den Pragmatismus zu sagen: Ich.
Coetzee, der eine Generation älter ist als ich, gibt sich bereits Rechenschaft, ebenso István Eörsi und auf seine Weise GroÃvater, der eine Selberlebensbeschreibung verfaÃte, die niemand drucken wollte; was Coetzee, Eörsi, GroÃvater an Haaren übrig: grau, die Haut rissig, was unter der Haut erst recht Anlaà zum Kummer, ihre Augen so trübe wie meine so Gott will als Romanschreiber noch werden. Als er etwa in meinem Alter war, wollte auch John Coetzee, so schreibt John Coetzee in Summertime über einen John Coetzee, statt über sich selbst mit den Toten sprechen, »die sonst ins ewige Schweigen gestoÃen werden«. Vielleicht spricht man erst über und nur noch mit sich selbst, wenn man selbst zu einem Toten wird. Daà nur bleibet, was stiften die Dichter, wurde mir bei Coetzee in der unmittelbaren Bedeutung anschaulich, die Jean Paul meint, als er in seiner eigenen Selberlebensbeschreibung ein Weihnachtsfest ausläÃt. »Pauls Weihnachtsfest selber zu beschreiben, erlassen mir wohl gern alle die Zuhörer, welchen in Pauls Werken Gemälde davon, die ich am wenigsten übertreffen kann, zu Händen gekommen.« GroÃvater war kein Dichter und hat mit seinem Buch nichts gestiftet. Sosehr er sich um Aufrichtigkeit bemüht â womöglich weil er sich zu sehr um Aufrichtigkeit bemüht oder um die Aufrichtigkeit eines ehemaligen Bankdirektors â, bliebe von ihm schon eine Generation unter meiner nichts, nicht einmal der Name, da sein Landgut nicht mehr der Familie gehört, die ohnedies fast vollständig ausgewandert ist, seine Schule nach dem Tod fürs Vaterland umbenannt wurde und in Isfahan allenfalls noch das eine oder andere Belegschaftsphoto im Archiv oder auf den Fluren der Iranischen Nationalbank an ihn erinnert, oder nein, nicht auf den Fluren, weil darauf die Frauen ohne Kopftuch zu sehen sind, nur im Archiv. John Coetzee hingegen ist unter allen Romanschreibern der Gegenwart einer der gröÃten. Nie im Leben erinnern sich die Menschen, die ihm einmal viel bedeuteten, wie sie sich in Summertime erinnern, so anschaulich, so durchdringend kalt und detailreich bis hin zur Sorte des Tees, den sie Mitte der siebziger Jahre für den damals noch völlig unbekannten, ungelenken und unsympathischen John Coetzee gekauft, »sehr englisch, aber nicht sehr angenehm, ich fragte mich, was wir mit dem Rest der Packung machen sollten«, wie auch der Roman, den ich schreibe, das Leben eines GroÃvaters ausmalt, wo sonst nur Aktenzeichen und Namenlisten von ihm blieben. Als Leser will ich nicht einmal wissen, ob es diese Menschen, Julia Frankl, Margot Jonker, Adriana Nascimento, Martin J., Sophie Denoël, die im Roman einem John Coetzee viel bedeuteten, ob es sie in John
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