Dein Name
Coetzees Leben wirklich gab. So wirklich, wie John Coetzee sie und damit sich schuf und es zumal Jean Paul in seinen Selberlebensbeschreibungen gelingt, können Gottes Geschöpfe gar nicht sein oder doch sein, indes nicht sich offenbaren. Wenn ich also nach Jean Paul und Hölderlin frage, frage ich auch: Warum John Coetzee, warum John Berger und István Eörsi, warum Wolfgang Hilbig, Rolf Dieter Brinkmann, Peter Kurzeck, Elfriede Jelinek, Ingo Schulze, Ruth Schweikert und Arnold Stadler, um nur diejenigen Selberlebensbeschreibungen anzuführen, lesenswert oder nicht, die der Roman bisher erwähnt, den ich schreibe, warum gerade in diesen Jahren so viele Romanschreiber, die von sich in der dritten Person sprechen? Ich habe keine Ahnung und würde, um die Häufung zu bestreiten, lieber auf Ingeborg Bachmann verweisen, die in der allerersten Poetikvorlesung, die in Frankfurt nach dem Krieg gehalten wurde, Beispiele aus allen Jahrzehnten besprach, in denen ein Autor sein Ich vorführt, ausgestattet oder nicht ausgestattet mit seinem eigenen Namen und allen seinen Daten, Henry Miller und Céline, Tolstoi und Dostojewski, Svevo und Proust. Und angenommen, meine Ich-Bezogenheit, insofern sie zugleich, wie Ingeborg Bachmann betonte, eine Ich-Kaschierung ist, wäre tatsächlich nur ein Zeitphänomen, wie die Rezensenten stöhnen werden, dann folgte der Roman, den ich schreibe, erst recht allen möglichen anderen Moden, Blog- und Tagebuchliteratur ja auch, dazu ein veritables Krebsbuch, überhaupt das Thema des Sterbens, Mutterbuch, Familienepos, Migrationsliteratur und der Mut zu dilettieren, der nun wirklich ein Trend geworden ist. Caravaggio ist auch jüngst von Arnold Stadler und Martin Walser für die deutsche Literatur entdeckt worden, überhaupt Rom, ich ahne es schon, bitte bitte bitte kein weiteres Stipendiatenbuch aus der Deutschen Akademie, wo ich, raten Sieâs, im Atelier Nummer neun wohnte und Navid Kermani nebenan. Mögen sich die Rezensenten über mich erheben, wie sie wollen, habe ich selbst doch nun einmal nicht als tausendster deutscher Dichter, sondern zum ersten Mal in Rom gelebt. Und einmal von Rom abgesehen, das nur eine Episode ist, kommt mir wie jedem Narr das, was mich umtreibt, naturgemäà wie das Natürlichste der Welt vor. Zumal als Romanschreiber muà ich die Objektivierung des eigenen Ichs als konstitutiv nicht nur für die Literatur, sondern als konstitutiv für die menschliche Sprache erleben, die notwendig propositional ist, genau gesagt: in frühestem Alter propositional wird . Daà ich von mir als Romanschreiber, Enkel, Sohn, Vater, Mann, Leser, Freund, Nachbar, Liebhaber, Berichterstatter, Orientalist, Handlungsreisender, Nummer zehn, Navid Kermani oder Poetologen spreche, kann für mich selbst niemals nur Ausdruck meiner Zeit sein, wie immer es sich von auÃen darstellt. Die Verfremdung stellt sich mir viel simpler als ein grundsätzliches Verfahren der Literatur dar oder genauer: als ein Versuch, die BewuÃtwerdung des Kindes nachzuahmen. In seiner Selberlebensbeschreibung erinnert sich Jean Paul, da er zurück in die erste Person wechselt: »Nie vergeà ich die noch keinem Menschen erzählte Erscheinung in mir, wo ich bei der Geburt meines SelbstbewuÃtseins stand, von der ich Ort und Zeit anzugeben weiÃ. An einem Vormittag stand ich als ein sehr junges Kind unter der Haustüre und sah links nach der Holzlege, als auf einmal das innere Gesicht, âºich bin ein Ichâ¹ wie ein Blitzstrahl vom Himmel vor mich fuhr und seitdem leuchtend stehen blieb: da hatte mein Ich zum ersten Male sich selber gesehen und auf ewig.« Das ist ein Beginn, bei jedem Kinde, nur daà andere Kinder den Moment nicht wie eine Offenbarung erleben oder vielleicht erleben, aber vergessen. Es ist wahrscheinlich in der Regel auch mehr ein Ãbergang, wenn meine Beobachtung als Vater mich nicht täuscht: Von der dritten in die erste Person zu wechseln, wenn ein Kind von sich spricht, geschieht im Alter von zwei, drei Jahren nicht in einem einzelnen Moment, sondern tastend, versuchsweise, fragend, bis es feststeht: Ich bin ein Ich. Das Kind hat nicht mehr nur Empfindungen und Wünsche. Es weià sie damit als seine eigenen Empfindungen und Wünsche. Daà das Ich die Welt konstituiert, ist also nicht hohe Philosophie, sondern frühkindliche Erfahrung. Sie geschieht in jedem Leben, bei jedem Menschen, wiewohl es
Weitere Kostenlose Bücher