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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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ich im Theater kenne. Ich möchte nicht einmal auf die famosen Kostüme eingehen, die er für unsere eigene Inszenierung entwarf, operettenhaft auf ideale Weise, indem sie von den Schauspielern allen Mut zur Häßlichkeit einforderten, zur großen, peinlichen, verzweifelten Geste, und doch schwindelte ich, würde ich behaupten, sie hätten mich so tangiert wie meinetwegen das Konzert von Nikki Sudden im Kölner Blue Shell etwas hinterließ, den ich noch viel weniger kannte als Franz Lehr.
    Eher hat sich mir die Milde seiner Ausstrahlung eingeprägt, seine zugetanen, interessierten, immer liebenswürdigen und uns Jüngeren gegenüber fürsorglichen Blicke, die herzlichen Umarmungen, auch wenn sich für meinen Geschmack die Körper im Theaterbetrieb zu schnell berühren. Ich glaube schon, daß die Zärtlichkeit, mit der Franz auch mir gelegentlich über die Schulter fuhr oder mich am Oberarm hielt, mit seiner Homosexualität zu tun hatte, die ich bei niemand anders in meiner Umgebung, jedenfalls vor etwa fünfzehn Jahren, als wir uns in Mülheim kennenlernten, von Anfang an als so selbstverständlich empfand, doch war es eine, wie soll ich sagen?, eine Generalzärtlichkeit zu allen Menschen, Gegenständen und der Welt als solcher. Zu Frauen schien er auf die gleiche Weise sanft zu sein oder noch unbefangener. Mir waren seine Berührungen niemals unangenehm, und das will bei meiner kulturellen Vorprägung etwas heißen und der Aversion gegen voreilige Umarmungen, die ich im Theaterbetrieb herausbildete. Franz war unbedingt loyal, das weiß ich noch, vor allem gegen den gemeinsamen Freund, der nach Jahren als Regieassistent am Theater an der Ruhr zum ersten Mal inszenieren durfte und viel mehr unter Druck stand als ich, der ich Gast war und mich gegen Ende der Proben auf die Dramaturgie zurückzog. Das Theaterdirektorium mit Roberto Ciulli, als dessen fester Kostümbildner Franz damals arbeitete, schien nahezulegen und beinah zu erwarten, daß er sich von uns distanziert oder sich über uns erhebt, als die Proben nicht so liefen wie von uns ausgedacht und genau die Probleme und Schwächen auftraten wie vom Direktorium prophezeit. Aus unserer Sicht bestand nie Anlaß zur Sorge, daß Franz uns in den Rücken fiel. Er vermittelte, indem er zugleich nach Lösungen suchte und beruhigte, aber es war vollkommen klar, daß er auf unserer Seite stand, weil er diese Produktion nun einmal mit uns Jüngeren begonnen hatte, nicht mit der Theaterdirektion, und die Krise auch seine Krise war.
    Nur bezog diese Fürsorge sich wie gesagt eher auf den gemeinsamen Freund; ich habe sie mehr beobachtet, als gemeint zu sein. Allerdings führt mich Franz’ Fürsorge zurück zur Party etwa fünfzehn Jahre nach unserer Zusammenarbeit in Mülheim. Daß er aufstand, um mich von weitem zu sich zu winken, als er mich ratlos durch die Reihen gehen sah, ist vielleicht gar nicht so bemerkenswert und täten andere genauso, die einen Platz frei haben für einen Bekannten. Aber bei niemand anders hätte ich spontan und so stark den Eindruck gehabt, daß die Geste charakteristisch für ihn war. Niemand anders, und das ist für mein Leben dann doch zwingend »erwähnbar«, niemand anders hätte meine Verlorenheit über so viele Tischreihen hinweg bemerkt.
    Dank Franz verlief die Party glimpflich, wie die meisten Parties inzwischen, da von diesem Augenblick an die Mechanismen wieder griffen, die mich halbwegs vor der Einsamkeit schützen, die mich fast immer überfällt, wenn ich unter Menschen bin, die fröhlich sein wollen. Es saßen einige nette Leute am Tisch, unter anderem Franz’ Lebensgefährte, die Schwester unseres gemeinsamen Freundes und neben mir ein Dramatiker, mit dem ich mich recht angeregt über etwas unterhielt, das nichts mit Theater zu tun hatte, genau, jetzt fällt es mir wieder ein, über die Fußballnationalmannschaft der deutschen Schriftsteller, welcher der Dramatiker angehörte, was nun wirklich blöd genug ist, um sich die Köpfe heißzureden.
    Ein fröhlicher Abend wurde es nicht. Im Bewußtsein und mehr noch im Unterbewußtsein befand ich mich in einer anderen, tragischen Welt, weil ich in der Woche zuvor erst aus Afghanistan zurückgekehrt war und es Nasrin immer schlechter ging. Später am Abend traf ich nach langer Zeit wieder eine befreundete Schauspielerin, die

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