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unausweichliche und private, nicht nur im Westen intime Gefecht, das keine Schlagzeile würdigt, in dem kein Komitee unterstützt. Er sei krank vor Erschöpfung gewesen, als er aus Kairo zurückkehrte, und auf die eine oder andere Weise krank geblieben das ganze Jahr. Man will sich nicht so wiedersehen wie am Samstag, will keinen Lehrer antreffen, der es mit Fassung trägt, zermahlt zu werden; dabei zeugt die Vertrautheit, die selbstverständlich geworden ist, von der Freundschaft, die sie in Kairo nicht voraussehen konnten, einer Freundschaft mit den Zügen eines Verhältnisses von Vater und Sohn. »Ich komme soeben aus der Klinik, schlaflos, die UngewiÃheit des Morgen«, faxt um 23:04 Uhr der Bildhauer in München, den der Freund aus Köln also noch anrufen kann: »Mein Dasein besteht nur noch aus Befunden. Ich sehe nur Zahlen â des Blutbildes â offenen Auges, das nichts sieht, nehme sie wahr, kann sie nicht lesen, kenne ihre Bedeutung im einzelnen und ihre Zusammenhänge nicht. Ich muà mich auf das verlassen, was ihre Augen mir sagen. Sie sind wie Poesie, sie sagen immer mehr, als sich aussprechen läÃt. / Alles Erlebte stellt Bezüge her. Dem in der Erinnerung Wiedergefundenen traut man. Nicht trauen kann man dem hilflos banalen Gerede neugieriger Freunde. So werden Ratschläge â wie z.B. âºDu muÃt kämpfenâ¹ â mehr als Schläge denn als guter Rat empfunden. Nachts, wenn ich über ihren Schlaf wache, zählt man nur das gleichmäÃige Einatmen und Ausatmen. Genaugenommen geht es um die Umkehr zwischen Ein- und Ausatmen. Sie vollzieht sich in einem fast unmerklichen Zeitraum, nicht spektakulär, bedeutet aber Leben.« Jetzt verstehe ich, sagt der Freund um 23:15 Uhr am Telefon, warum wir im Persischen zur Lebensgefährtin ham dam sagen: »Mitatmende«. Sarmaye-ye omr-e âdam yek nafas ast , rezitiert der Bildhauer mit seinem komischen bayrischen Akzent ein Lieblingsgedicht der Gnädigen Frau, er erinnert sich nicht von wem, das Sie, groÃgeschrieben, mit Ihrem eigenen Akzent nachsprechen mögen, um den Einklang zu hören, den nafs und nafas im Persischen haben, »Seele« und »Atem«: w-ân nafas az barâ-ye ham nafas ast /gar nafsi bâ nafsi ham nafas ast/ ân yek nafas az barâ-ye yek omr bas ast . »Des Menschen Vermögen liegt im Atem / Den er für eine andre Seele schöpft / Wenn atmet Seele mit Seele gleich / Leben schöpfen sie in einem Atem.« Der Bildhauer spricht um 23:21 Uhr den Roman an, den ich schreibe. Ob der Bildhauer sich bewuÃt sei, daà In Frieden weitergeschrieben wurde, daà auch jetzt geschrieben wird, jetzt: am 14. Oktober 2006 um 23:24 Uhr auf dem Telefon, wagt der Freund nicht zu fragen. Ihm sei jedesmal aufgefallen, erklärt er statt dessen, daà man in Krankenzimmern nicht richtig denken kann, jetzt gerade wieder in Leiden, vor zwei Wochen in Spanien und bevor der Roman einsetzt, den ich schreibe, in der Kölner Neurologie. Es ist darin sowenig Sauerstoff, daà man rasend schnell müde wird und gelähmt in seinen Gedanken. So sitzt man die Zeit ab, bei vollem BewuÃtsein, daà sie so wertvoll wäre. Aber wertvoll ist auch das bloÃe Zusammensein, wie Ibn Hanbal erfuhr, der im Traum Gott gefragt hatte, ob man den Koran mit oder ohne Verstehen hören soll. Mit oder ohne Verstehen, antwortete ihm Gott. Morgen muà der Schüler seinen Koranlehrer erreichen, mit oder ohne Festnetz. Und der Reporterin muà er schreiben, deren Mutter gestorben ist, ebenfalls morgen und nicht nur eine Mail. Er saà mit geschlossenen Augen in der Maske, als er dem Gespräch zwischen dem Moderator und dem Redakteur entnahm, daà sie die Teilnahme an der Sendung über die Totenköpfe, mit denen deutsche Soldaten in Afghanistan FuÃball gespielt, kurzfristig abgesagt hatte. Die Redaktion zeigte Verständnis.
Müde von der Landluft, schlafen die Frau und die Töchter hinter seinem Rücken, so daà er am Schreibtisch, der vor dem Fenster steht, vom älteren Herrn berichten kann, der vier Weiler entfernt die Städter fragte, wo die nächste Gaststätte oder Bushaltestelle zu finden sei. Nein, zuerst fragte der ältere Herr die Städter, ob sie Deutsch sprächen. Er hatte gerade nach vielen Jahren wieder den Bauer Jupp oder Karl-Heinz besucht. Nun stand er vor dessen Hof und hatte keine Ahnung, in welcher Richtung
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