Dein Name
Tod, danach nur um die Existenz. Hoffnung hatte er zwischendurch wenig, mit seiner Frau je wieder gemeinsam zu atmen, das war nicht der Impuls. Der Impuls war, seinen Mann zu stehen, wenn ich das einmal so sagen darf, zu tun, was einem aufgetragen. Die Photos von früher, die auf dem Nachttisch des Bildhauers standen, zeigten eine Erscheinung wie von einem anderen Stern, so hübsch. Eine Betthälfte entfernt weinte die Gnädige Frau dreiÃig Jahre später wie immer um die Tageszeit, wenn sie irgendwelche Medikamente nimmt oder noch nicht genommen hat, das Kopftuch, das sie jetzt trägt, aus Seide, in herrlichen Farben und sorgfältig gebunden, auf ihr Aussehen weiterhin bedacht. Bald wurde es besser, in manchen zehn Minuten die Unterhaltung geradezu leicht. Früh wurde der Freund schläfrig vom eigenen Opiat, immer der gleiche Nerv rechts neben dem Brustwirbel. Der Bildhauer hatte gelacht, als der Freund sich gekrümmt wie ein alter Mann zum Krankenbesuch einfand. Von Bei stand konnte keine Rede sein: Den Nachmittag mit dem Bildhauer, als die Gnädige Frau schlief â nenn mich nicht immer Gnädige Frau â, verbrachte er liegend im Dämmerzustand. Der Nerv rechts neben dem Brustwirbel ist der Schalter einer privaten Zeitmaschine: So fühlt sich dein Körper in dreiÃig oder vierzig Jahren an, genau so. Alle eigenen Bewegungen verlangsamen sich, die Welt dreht sich zu schnell. Am 20. Oktober 2006 trifft um 17:33 Uhr der AnschluÃzug in Mannheim ein. Bitte zurücktreten. Wie es dem Soziologen in Frankfurt geht, hat er immer noch nicht gefragt.
Die Gynäkologin meinte, daà Blutungen in fünfzig Prozent der Fälle nichts zu bedeuten hätten. Das heiÃt, in fünfzig Prozent bedeuten sie etwas. Die Angst beherrscht jeden auf seine Weise. Die Frau zerflieÃt, der Mann wird starr. Sie nimmt seine Kälte wahr. Er nimmt wahr, daà er wieder der Pfleger ist und sie die Patientin. Gestern abend ging er um halb elf schlafen, um nicht wach sein zu müssen. Heute morgen machte er der Tochter das Frühstück, plante mit ihr das Wochenende und verkroch sich ins Büro, das wieder eine Wohnung werden kann, bevor die Frau wach wurde. Gut, gut, er geht gleich zurück und bereitet ein kleines Mittagessen, tut freundlich und was noch alles erwartet werden darf. Ohne daà er etwas von der Blutung gesagt hatte, riet die Mutter zu einem Gelübde, einem nazr , wie es auf persisch heiÃt. Er solle Gott versprechen, das Ritualgebet zu verrichten, wenn das Kind im Bauch bleibt. Das ist ein schlechtes Geschäft für Gott, erwiderte der Sohn, der das Gebet bereits in der Neurologie eingesetzt hatte.
Dienstag hat er den Roman, den ich schreibe, mit 15 Briefmarken à 55 Cent in den Briefkasten geworfen. Spätestens Donnerstag oder sagen wir Freitag muà der Umschlag in Zürich eingetroffen sein. Und heute ist schon Dienstag!, Dienstag, der 24. Oktober 2006, 12:32 Uhr auf dem Funkwecker, 12:46 Uhr auf dem Laptop, 12:30 Uhr auf dem Telefon, 12:36 Uhr auf dem Handy und inzwischen 12:33 Uhr auf dem Funkwecker. Es war ein Fehler, wie es ein Fehler war, den Roman, den ich schreibe, dem Bildhauer in München zu schicken. Es war ein viel gröÃerer Fehler, weil der Verleger in Zürich die Instanz ist, vor welcher der Romanschreiber seine Texte nicht verteidigen kann, beinah sein Pir , wie die Mystiker einen Lehrer nennen. Um so unruhiger ist er nun, obwohl der Verleger das Paket erst vor zwei, drei Tagen erhalten haben kann, wenn überhaupt, denn vielleicht ist der Verleger auf Reisen oder stapeln sich die Manuskripte anderer Autoren, die genauso entschieden von ihm verlangen, daà er sämtliche Termine absagt, die Tür seines Büros von innen verriegelt und das Telefon ausschaltet, um ihr Hauptwerk zu verschlingen. Gleich, was er sagen wird, ist der Roman, den ich schreibe, auf der Welt. Indem der Romanschreiber das Päckcheneinem Verleger geschickt hat statt einem Freund, wendet er sich an einen Leser, den er nicht kennt, eine allgemeine Leserschaft, wie GroÃvater sie sich erhoffte.
GroÃvater ist im Jahr 1312 oder 1313 des islamischen Kalenders geboren, also zwischen 1894 und 1896 nach Christi. Daà er statt der iranischen Sommer-, die arabischen Mondjahre angibt, ist merkwürdig. Vielleicht war es in seiner Generation noch üblich â aber doch nicht mehr Anfang der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Vermutlich
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