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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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sein Zuhause liegt. Nochmals bei Jupp oder Karl-Heinz zu klingeln, um nach dem Weg zu fragen, war dem Herrn zu peinlich. Auf wie alt schätzen Sie mich? fragte er die Frau. Fünfundsechzig log sie höflich. Achtundziebzig! triumphierte der Herr, weiße Haare, wie mit dem Gartenzaun abgetrennter Seitenscheitel, viereckige Metallbrille, schneidende, geradezu militärische Diktion, die durch das rollende R und die dunklen Vokale des Dialekts zur Groteske geriet. Die Städter baten den Herrn, eine Viertelstunde, höchstens zwanzig Minuten, zu warten, damit sie das Auto holen. Auf dem Weg wunderte sich die Frau, daß sie den Herrn exakt auf achtundsiebzig geschätzt habe. Der Vater des Städters ist genauso alt und freut sich, wenn ihn junge Damen für jünger halten. Wieso hätten denn der Jupp oder der Karl-Heinz den Herrn nicht nach Hause fahren können? fragte die Frau. So ein Jupp oder Karl-Heinz sei in dieser Gegend niemand, der einen ungebetenen Gast weiter als bis zur Haustür begleitet, antwortete der Städter, der in der Gegend aufgewachsen ist, nur eine Autobahnraststätte entfernt. Nur die Frau ist schockiert, wenn ihnen auf der Dorfstraße, dem offenen Feld oder im Wald ein älterer Herr oder eine ältere Dame entgegenkommt, sie freundlich grüßen – um ohne Regung, ohne jede Erwiderung angestarrt zu werden. Das hätte mein Vater sein können, sagte der Städter zur Frau, der ganze Typus, die Höflichkeit, die energisch kaschierte Verwirrung, der Übermut, einfach immer weitergelaufen zu sein bis zu einem Jupp oder Karl-Heinz, der nun wirklich nicht auf ihn gewartet hat, dann sich konsterniert vor dessen Tür wiederzufinden, die jungen, bestimmt gutgelaunten Leute, die zufällig den Weg entlangschlendern, man selbst ist doch auch noch nicht im Grab. Das hätte mein Vater sein können. Der ältere Herr begeisterte sich am Navigator, der sie zurück zu ihrem Weiler lotste. Von den Iranern habe er jetzt ein positives Bild, sagt er, wirklich hilfsbereite, aufgeschlossene Leute, will er seiner Frau berichten, nicht so wie der Ajatollah, und dem Städter unbedingt Geld zustecken fürs Benzin. Der Städter kennt das aus dem Siegerland, das vielleicht mehr noch als von seiner Unzulänglichkeit, von Bergen, dichten Wäldern, unerfreulichem Klima und dem Eisenbergbau, vom eifrigen Christentum geprägt wird, Calvinisten, Pietisten, Freikirchen; die Leute dort sind nicht gewohnt, etwas geschenkt zu bekommen, es widerstrebt ihrem Gerechtigkeitsempfinden und dem Ethos, wonach jede Mark hart verdient sein will. Zwei Euro fürs Benzin seien doch wohl angemessen, meinte der Herr nach reiflicher Überlegung und gab sich nach einigen Verhandlungen zufrieden damit, dem Städter zwei Pfefferminzbonbons zu schenken, eins für jeden Liter. – Nie und nimmer waren das zwei Liter, wendet der Städter ein. – Dann ist das zweite für Ihre Frau. Als der Herr sich mit Mühe aus dem Auto gewunden hatte, schaute er noch einmal durch die Tür und lachte: Sie sind mir ein Lümmel! Und um noch ein weiteres Wort zu reden, fragte er gleich hinterher: Wissen Sie, was ein Lümmel ist? Sicher kennt der Städter, der nur eine Autobahnraststätte entfernt aufgewachsen ist, die positive Konnotation. – Ja, das sind Sie, ein echter Lümmel! In der offenen Garage des Neubaus stand ein Mercedes der E-Klasse. Der Vater fährt ebenfalls noch seinen Mercedes, bis nach Köln und zurück. Von den Söhnen läßt er sich nicht abhalten. Der Vater ist alt, achtundsiebzig, auch wenn ihn junge Damen aus Höflichkeit auf Mitte Sechzig schätzen. Vielleicht sollte der Verleger in Zürich doch den Roman lesen, den ich schreibe. Vielleicht ist es möglich, daß die Eltern nicht benannt werden, nicht in der ersten Folge, nicht unter den ersten hundert, fünfzig, zehn.
    Erkundigen muß er sich heute, wie es dem Soziologen in Frankfurt geht – und dem Moderator im Rundfunk, der auf der Liste fehlt, obwohl der Moderator im Aufzug selbst mitteilte, an Krebs erkrankt zu sein und sich im Oktober einer Behandlung oder Operation zu unterziehen. Der Musiker in München meinte, daß viele Menschen peinlich berührt seien, denen er mitteilt, wie es um seine Mutter steht. Sie fühlten sich offenbar hilflos, wenn sie das Wort Krebs hören, obwohl sie weder Hilfe benötigten, noch jemand sie um Hilfe bitte. Einzelne

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