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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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sichern, wiewohl von unseren Gesprächen über den Kühlschrank oder die anderntags defekte Klospülung, in denen meine obligate Frage nach dem Befinden ihn jedesmal zu verwundern schien, beim besten Willen nichts zurückblieb, eher schon von den Beobachtungen vom Schreibtisch aus, vorbei am Bildschirm des Computers. Einen Menschen mehrmals am Tag zu beobachten, erzeugt auch eine Art Nähe, unweigerlich seinen Gang zu verfolgen, wenn er im Hof Ausschau hielt, ob alles seine Ordnung hat, die Mülltonnen an ihren ordnungsgemäßen Platz rollte oder mit den Kunden des türkischen Supermarkts schimpfte, die ihre Autos nie ordentlich parken, und doch auf seine ruppige Weise kollegial, keineswegs mißmutig gegenüber den Türken, die ihm zuliebe das übergroße Schild anbrachten, daß Parken nur während des Einkaufs und nie länger als dreißig Minuten erlaubt sei. Der Nachfolger des Hausmeisters wird dankbar sein, nicht jedem alles von neuem erklären zu müssen, wie auch ich manchmal nach Lesungen gern auf ein übergroßes Schild verwiese. Ich beruhigte mich damit, daß ich dem Hausmeister nach den Maßstäben meines Totenbuchs, die sich im Laufe des Romans, den ich schreibe, herausgebildet hatten, beim besten Willen nicht nahe genug gekommen war, um Zeugnis ablegen zu können. Wenn Sichtweite genügte, wäre ich nur noch mit dem Tod beschäftigt. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, die lesbare Fassung abzuschließen, bevor die Poetikvorlesung beginnt, doch war der Plan auch wegen der vielen Toten vollkommen aussichtslos geworden und es schon deshalb die reine Idiotie, daß ich mit der Familie, die so selten noch versammelt ist, nicht über Ostern verreisen wollte, weil, ja warum eigentlich?, ach nur weil ich mir einen hübschen Anfangssatz für die Vorlesung ausgedacht hatte, der gleichzeitig im Roman geschrieben würde. »In dem Roman, den ich schreibe, hält jemand, der oft Romanschreiber, sonst Sohn, Vater, Mann, Freund, Nachbar oder Handlungsreisender, hin und wieder Enkel, regelmäßig Berichterstatter, dann wieder Orientalist, ein Jahr lang die Nummer zehn und an einigen Stellen Navid Kermani genannt wird, am Dienstag, dem 11. Mai 2010, eine Poetikvorlesung in Frankfurt.« Wie jeder, der »ich« zu sagen lernt, möchte auch ich, daß alles Künftige gerade so sei, wie ich es möchte, und bin vielleicht deshalb Romanschreiber geworden, um wenigstens zwischen zwei Buchdeckeln alles bestimmen zu können beziehungsweise auf den 23,5 mal 17,5 mal 1,8 Zentimetern meines Laptops, der in jede Tasche paßt, um meine Allmacht stets mit mir zu tragen. Wie jeder, der »ich« sagt, erfuhr auch ich an der Unbeständigkeit, Unvorhersehbarkeit und Zufälligkeit der Dinge die eigene Ohnmacht, die mich von mir erlösen könnte, achtete ich nur auf sie. »Aber der Mensch – verwöhnt an sein Ich – hebt aus den beiden unermeßlichen Zeiträumen sich das Räumliche seines Lebens heraus und stellt es als eine hohe Insel in das unendliche Zeitmeer und mißt von ihr aus die Unendlichkeit. Jeder glaubt, zugleich mit ihm müsse das All auslaufen, fortlaufen und anlanden; und er sei der Mittelpunkt eines unendlichen Kreises, der lauter Mittelpunkte umgibt.« Es ist der Zufall, der dem Ich seinen Hochmut austreibt. Es kann planen, wie es will, Monumente anlegen für die Ewigkeit, Reichtümer, Raumfahrten oder Romane – nicht einmal mit der Wimper muß Gott zucken, damit alles auf den Haufen geworfen wird, und wer nicht an Gott glaubt, dem mag eine Wimper ins Auge geraten, wie es meinem Vater auf der Fahrt nach Isfahan Anfang der sechziger Jahre in Österreich geschah, so daß sein Auto gegen einen Baum fuhr, und ein paar Tage später schlägt er die Augen im Krankenhaus auf, und zwei seiner drei Söhne sind auf der Intensivstation und seine Frau hätte genausogut tot sein können, ein Wimpernschlag nur, und der Jüngste wäre nie geboren. Wenn sein Arbeitskollege Mirza Aziz Anfang der zwanziger Jahre in der vergessenen Hafenstadt Bandar Lengeh am Persischen Golf nicht die Streichholzschachtel mit dem Schmuck von Madame Carlier wiedergefunden hätte, der Frau des belgischen Zolldirektors, wäre Großvater unehrenhaft aus dem Dienst der iranischen Zollbehörde entlassen, vielleicht sogar verhaftet worden und nie und nimmer später Bankdirektor in Isfahan geworden, hätte

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