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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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spülen, warum nicht auch an den Strand ihrer Ferienanlage. Boden, Wände, Dach, Größe der Container sind dieselben. Die Reihen bestehen allerdings aus Betten und ziehen sich mitten durch den Raum. Schon den Abwasch erledigen zu dürfen wäre der Himmel für die Männer und Frauen, die in Tanger oder vor Ceuta auf das nächste Himmelfahrtskommando warten. Das sagt der Urlauber nicht nur so. Das sagten sie ihm. Gelegentliche Wartezeiten sind unvermeidlich, wenn der Masse keine Massenware vorgesetzt werden soll. Wann immer aus der Küche eine neue Platte gebracht wird, beschleunigen einige der Urlauber den Schritt. Nirgends steht, daß man im Paradies glücklich ist. Es ist nur alles da.
    Zwei Flugstunden von Köln entfernt saubere Strände zu finden, an denen sie im Laufe eines Tages zwei Menschen sehen, davor ein Meer, im April warm genug zum langen Baden. Und es ist nicht Albanien. Der Reiseführer rät von der Gegend ab, für die sich die Frau aus bloß klimatischen Gründen entschieden hat, früher Sumpf, heute Campingplätze, die Autos im Sommer stoßstangendicht, den Rest des Jahres entvölkert, die wenigen Küstendörfer je ein Wurf häßlicher Häuser. Wenn die Saison noch nicht begonnen hat: nichts, also genau das Richtige. Die Frühgeborene backt im Sand Kuchen, er betrachtet den Horizont, beide wie verzaubert. Später – wieviel später?, kein Zeitgefühl mehr – überredet die Ältere ihn, noch ein letztes Mal in die Wellen zu springen, wo er einbeinig die hundert, hundertfünfzig Meter zwischen den Bojen hin und her schwimmt. Auf dem Rückweg treffen sie die Frau, die mit ihm Urlaubsszenen einer Ehe aufführt. Oft genug hat er geprobt, auf Durchzug zu schalten. Zwei glückliche Kinder und vor dir das Meer sind allein schon ein Hauptgewinn. Was sie tun: zwingen in die Bürgerlichkeit, geregelter Alltag, am Wochenende gern einen Ausflug mit Einkehr und Waffeln, für den Notfall eine Ferienanlage aus dem Katalog, um super last minute die Ehe zu retten. Die Frau wär’s zufrieden, die Versöhnung dennoch zu besiegeln, mag sie auch nach den Debakeln aller vorherigen Friedensschlüsse jede Andeutung vermeiden und nur darauf warten, daß er das Gegenteil ausspricht. Ich wußte doch, daß das kommt, wäre ihr erster Satz, der zugleich den Gegenangriff einleiten würde. Die Ältere ist alt genug, um die Trennung nicht als das Absolute wahrzunehmen, das für uns kaum noch existiert, aber bei der Frühgeborenen hört er auf die unausgesprochenen Bedenken der Frau, die sich zu ihrer Bequemlichkeit fügen, die sie ausgesprochen leugnet. Er sieht sich auf den Versorger reduziert, nein, auf den Hausmann, seit sie in einer anderen Stadt arbeitet, was dem entschwundenen Mahdi bestimmt nicht gefällt. Zerknirscht zu sein verbietet sich bei seiner eigenen Nüchternheit, die die ihre verursacht haben wird, nach den Stürmen, die niemand zurücksehnt, nun die Ebbe, die auch nicht besser ist. Die Eheleute wissen, was sie aneinander hatten und nicht mehr zu erwarten war. Wären sie zu zweit, segelte längst jeder auf einem anderen Meer – allein, die Kinder. Manchmal möchte er an Hölderlin glauben, sich aber nicht zu fühlen, sei der Tod. Dann lacht die Frühgeborene ihn an, die nicht mehr braucht zum Zufriedensein als die Abwesenheit von Schmerz, Müdigkeit und Hunger, oder backt die Ältere nach selbst ausgetüfteltem Rezept aus trockenem und feuchtem Sand (acht Schichten), das sie ihm kopfschüttelnd beibringt, nachdem er einen ihrer Kuchen fallen ließ – und er bleibt doch lieber beim Schulmeister Wuz, dem Doktor Katzenberger oder dem Armenadvokat Siebenkäs. Bei Jean Paul erweisen sich selbst die Biographischen Belustigungen , die anheben, eine Romanze zu erzählen inklusive Flucht nach Schottland, als Abrechnung mit der romantischen Liebe, in welcher der Romanschreiber für Geschlechtertrennung plädiert und die Gleichgültigkeit unter Eheleuten mit ihrem immerwährenden »Beisammenwohnen, Beisammenspeisen usw.« erklärt: »Daher gibt man sich beim Altare die Hände zum Zeichen des Streits, wie in England die Leute sie erst einander schütteln, ehe sie sich damit boxen; und das Umarmen ist vielleicht aus Italien entlehnt, wo die Umarmung der Duellanten unter die 200 Bedingungen gehört, unter denen sie sich schlagen dürfen; wird die

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