Dein Name
Ehe geschieden, so ists auch meistens um die Gleichgültigkeit der Eheleute getan, und man muà sie oft zum zweiten Mal kopulieren, um sie wieder auseinanderzubringen.«
In der lesbaren Fassung des Romans, den ich schreibe, werde ich tun, als hätte ich die Vorschule zur Ãsthetik früher gelesen, um hier und dort Jean Pauls eigene Erläuterungen zu übernehmen, wo meine eigenen zu nichts führen. In Frankfurt können noch fünfzig weitere Poetologen berufen werden, ohne daà jemand eine Poetik vorlegt, die so intelligent, detailliert und amüsant lâaction qui fait des eigenen Werks erklärt â worin zugleich eine Enttäuschung liegt, weil die Urteile des Lesers vorweggenommen, Geheimnisse offenbar und auch jene Postulate erkennbar werden, die Jean Pauls Romane nicht oder nicht überall einlösen. Seit ich mich auf die Vorlesung vorbereite, kenne ich das Problem: Ich habe keine Ahnung, wie ich all das, was ich in meiner Poetik postuliere, je in dem Roman einlösen könnte, den ich schreibe, und befürchte, daà ich nach der Bearbeitung sofort mit der Bearbeitung der Bearbeitung beginnen müÃte, um zwischen Wille und Werk wenigstens einen Minimalzusammenhang herzustellen und die Enttäuschung über das Ungenügen der Exekution noch irgendwie zu begrenzen, so daà ich den Erscheinungstermin, der im Vertrag steht, endgültig nicht einhalten werde. Fürs erste beruhige ich mich damit, daà nicht einmal Jean Paul, der seine Romane näher an seine Poetik führte, als es mir je gelingen wird, seine Postulate einzuhalten vermochte, nicht einmal er. Seine Witze beispielsweise, die Jean Paul mit der womöglich ausführlichsten Humortheorie deutscher Sprache begründet, fand ich von Band zu Band weniger lustig. Erst als ich während der unverhofften Osterferien Jean Pauls Selberlebensbeschreibung im sechsten Band der Dünndruckausgabe las, blitzte wieder die Anarchie der früheren Werke auf, deren Anlage wohlkalkuliert ist, wie ich zuvor aus der Vorschule erfahren hatte. Manche Situationen sind so famos erzählt, wie bereits im Siebenkäs auch in der Selberlebensbeschreibung die ersten Küsse, daà es mir am Pool, Anlage hin oder her, die Schuhe beziehungsweise Badelatschen auszog, die Romananlage, meine ich, aber die Ferienanlage auch. Das wäre auch wieder so eine billige Pointe, wie ich als einziger unter Deutschen deutsche Literatur lese, wofür ich mir noch das beifällige Nicken der Nachbarliege einhandele, die den französischen Schauspieler ebenfalls schätzt. Die Hingabe des Barbaren an die imperiale Zivilisation, da die Zivilisierten sich wie Barbaren all inclusive buchstäblich alles erlauben, ist ein wiederkehrender Topos vieler Kulturgeschichten und als Einfall auch im Roman, den ich schreibe, schon hundertmal vorgebracht worden, weil es zu GroÃvaters Aufbrüchen so gut paÃt. Rechtzeitig vor der Poetikvorlesung brenn ich ihn hier »absichtlich wie einen Ehrenkanonenschuà zum 101ten Male ab, bloà damit ich mich durch den Abdruck auÃer Stand setze, einen durch den PreÃbengel schon an die ganze Welt herumgereichten Bonmot-Bonbon von neuem aufzutragen«. Aber nicht von der Selberlebensbeschreibung , sondern von Jean Pauls letztem Roman Selina wollte ich berichten, auf den meine Poetik zuläuft, sofern ich mit der Vorlesung rechtzeitig fertig werde. Obwohl Fragment geblieben und vom Kindler wie alle anderen Titel des letzten Bandes ignoriert, gelang Jean Paul kurz vor seinem Tod mit Selina noch der Roman, der seine lebenslangen Gedanken übers Sterben zusammenführt, mehr noch: in Einklang bringt, die Ãngste und Hoffnungen, Visionen und Alpträume, Verwirrungen und Einsichten, gerade indem er wie die Bibel ihre Unvereinbarkeit bewahrt. »Der groÃe Augenblick des Todes. Es muà verwundern, daà jeder, so alltäglich auch das Leben ist, am Ende seiner Wochentäglichkeit etwas erlebt, was über den Kreis aller Geschichten und der Erde und der Erfahrung hinausgeht, das Sterben, ein neuer unfaÃlicher Zustand; und brächt er Vernichtung, so bliebâ er doch beides.« Für Jean Paul warf der unfaÃliche Zustand lebenslang die wichtigste der Fragen auf, weil am Tod sich das Leben entscheidet, sich jenseitig noch alles erklärt oder die Endlichkeit alles als Zufall erweist, aber erst jetzt, kurz vorm eigenen Tod scheint Jean Paul hinzunehmen, keine oder zu
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