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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Bräutigam heiraten will. Einen Augenblick ist sie still, dann hört sie das Tuscheln der Frauen, die um sie stehen: »Sag nein!« »Wie bitte?« flüstert die Mutter verwirrt. »Du mußt nein sagen.« »Nein«, ruft die Mutter unsicher. Die Stimme aus dem Nebenzimmer nennt ein zweites Mal den Namen des Bräutigams, den Namen seines Vaters sowie die Nummer seines Personalausweises und wiederholt die Frage. Die Mutter blickt fragend in die Runde. »Sag nein!« fispern die Frauen und versuchen, ihr Kichern zu unterdrücken. »Nein!« ruft die Mutter wieder. Die Stimme aus dem Nebenzimmer nennt ein drittes Mal den Namen, den Namen des Vaters sowie die Nummer des Personalausweises und wiederholt die Frage. »Jetzt sag: Mit Erlaubnis meiner Eltern, ja.« »Mit Erlaubnis meiner Eltern, ja.« Ohrenbetäubend ist das Lachen, der Jubel, das Trällern, das bei dem Jawort der Mutter einsetzt; Gold- und Silbermünzen werden in die Luft geworfen, weißkandierte Reiskörner und Mandelstücke regnen auf die Mutter herab, jede umarmt sie, jede will sie küssen, das Orchester spielt im Hof bereits den Hochzeitstanz, so daß im dichten Gedränge die ersten Hüften kreisen und bald ein komplettes Tohuwabohu herrscht, als sich die Tür öffnet und der Vater erkennbar verwirrt im Frauenzimmer steht. Er schaut sich suchend um, bis er die Mutter entdeckt, und schlängelt sich durch die tanzenden, trällernden und singenden Frauen. »Als er vor mir stand, schaute er mich erst prüfend an, bevor die Anspannung, die ich mir nicht erklären konnte, sich löste und er vor Glück strahlte. Sein ganzer Körper schien zu lachen, seine Augen glänzten, seine Lippen zitterten, seine Armen ruderten umher, als wollte er etwas sagen oder laut schreien, aber er fiel nur auf die Knie, nahm mein Gesicht in seine Hände und wollte mich küssen. ›Brüderchen, doch nicht vor allen Leuten‹, rissen ihn seine Schwestern zurück: ›Beherrsch dich!‹ Eilig improvisierten sie mit einigen Tschadors, die sie um uns herum und über unsere Köpfe hielten, ein kleines Zelt. Mein Gesicht noch immer zwischen seinen Händen, zögerte er keinen Augenblick länger und küßte mich aufgeregt, küßte mich wieder und wieder, wollte gar nicht mehr aufhören, mich zu küssen, so daß eine seiner Schwestern von oben durch den Tschador zischte: ›Brüderchen, es reicht!‹ Als die Schwestern ihre Hände sinken ließen, griff er nach den Tüchern, zog sie wieder über unseren Köpfen zusammen und küßte mich weiter. Ich hörte, wie um uns herum ›Herzlichen Glückwunsch‹ gerufen wurde und ›Hoch sollen sie leben, hoch hoch hoch‹, ich hörte das Trällern und Klatschen der Frauen, ich spürte, wie eine oder mehrere Hände an den Tschadors zerrten, die er fest über unseren Köpfen hielt, um mir immer weitere Küsse zu geben. ›Ich liebe dich!‹ flüsterte oder vielmehr, es war ja so laut, brüllte er mir ins Ohr. Als seine Schwestern es offenbar aufgegeben hatten, die Tschadors von unseren Köpfen zu ziehen, gestand er, daß er bei der Zeremonie vor Angst fast gestorben wäre. ›Warum denn das?‹ fragte ich. ›Ich hatte diesen arabischen Namen doch nie gehört‹, erklärte er, ›und auf einmal überfiel mich die Panik, daß ich mit eurem Dienstmädchen verheiratet würde. Ich wollte schon aufstehen und laut rufen, daß ich aber dich heiraten will und nicht das Dienstmädchen. Zum Glück las mein Onkel meine Gedanken und legte seine Hand auf meine Schulter. Er flüsterte mir ins Ohr, daß ich keine Angst haben solle, im Hause des frommen Herrn Schafizadeh werde niemand betrogen.«
    Wie der Vater jeden Tag nach der Arbeit das Haus der Großeltern mit seinem Lachen und seinen Geschichten erfüllt, wie er die Mutter vor der ganzen Familie mit Küssen bedeckt, obwohl die Tradition nicht einmal Händchenhalten gestattet, bevor sie unter einem Dach wohnen und die Ehe vollzogen ist, wie er endlich aus der Tür bugsiert wird und mit Hilfe Mohammad Hassans über die Mauer zurück in den Hof klettert, wie er sich in ihr Zimmer schleicht und unter der Bettdecke wartet, während sie nichtsahnend ihre Zähne putzt, die erste, herzrasende, dabei noch keusche Nacht der Eltern und Großmutter, die den Vater am nächsten

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