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Schwarze dem Zufall, vielleicht einem Führer der katholischen und einem Führer der evangelischen Kirche.
Die Beziehung zum Vater, die auf Seite 115 eingesetzt hat, scheint sich einschlieÃlich der ersten, abenteuerlichen Zeit in Deutschland mit Einschüben hier und dort über die gesamte Lieferung zu erstrecken, hundertsechzig neue Seiten, die die junge Waise aus Isfahan gemailt hat, damit der Sohn sie der Mutter ausdruckt. Soweit er es beim Durchblättern schon sieht, hat die Mutter nicht allgemein ihre Lebensbeschreibung, sondern, ohne es wahrscheinlich selbst beabsichtigt zu haben, einen groÃen Eheroman verfaÃt, ergreifend vielleicht auch für andere als den Sohn, der unmöglich noch die Geschichte seiner Eltern erzählen kann. Das ist, das wird ein eigenes Buch, die ersten Küsse, die erste, noch heimliche Nacht, die Hochzeit, die erste Wohnung, der Alltag auf dem Dorf, in dem der Vater während des Studiums nebenher als Arzt arbeitete, dann die Zeit allein, als der Vater nach Deutschland geflogen war, und wie sie ihm allein mit zwei Kindern später nachreiste, als junges iranisches Paar im Deutschland der späten fünfziger Jahre, das alles mit den Augen des Mädchens geschildert, das nicht von einem muslimischen Tyrannenvater, sondern in der aufgeklärtesten, liebevollsten Umgebung dennoch zur Ehe gezwungen wird, mit den Augen der Braut, die von ihrem Platz aus auf die Hochzeitsgesellschaft blickt, ohne an dem Fest teilzunehmen, mit den Augen der Frau, der Mutter, der Auswanderin â wahrscheinlich sind im Zuge der vorletzten oder vorvorletzten Mode viele solche Geschichten in Deutschland erschienen, der Sohn kennt sich auf dem Gebiet nicht aus, wahrscheinlich haben vor ihm bereits zwanzig andere Einwandererkinder ihre Mütter befragt, deren Antworten bestimmt alle lesenswert geworden sind oder mindestens brauchbar als soziologisches Material. In dem Roman, den ich schreibe, hat die Mutter selbst literarisches Talent, wie der Sohn ihr auch sagen möchte, wenn er sie in Spanien besucht, obschon sie dann gleich wieder von Bestseller und diesem Verlag in Frankfurt sprechen wird, der Isabel Allende veröffentlicht, überraschende Gefühle, tiefgreifende, auch soziale Konflikte, Abwehr und erotische Momente, Ambivalenzen, Unsicherheiten, Bedrängtheit und Revolte, Emanzipation und, ja, eine groÃe Liebe, gleichwohl mit andauerndem Streit und Hadern bis heute. Es ist nicht Isabel Allende und doch mehr, als der Sohn seiner Mutter zugetraut, die ihr Studium der Literaturwissenschaft im ersten Semester abbrach, um die restlichen sechzig Jahre seither als Gattin, Mutter und Hausfrau zu leben, wie es GroÃvater für sie vorgesehen hatte und der Vater nicht anders erwartete. Das Manuskript, zu dem der Sohn sie anstiftete, bleibt eine Aufgabe für später, einverstanden, zu erfüllen von ihm oder einem, den er vermittelt. Die Autorin bleibt sie selbst. Andererseits muà der Sohn die Zeit zwischen den Vorlesungen ja doch irgendwie überbrücken, wenn der Roman, den ich schreibe, nicht auch noch den Kommentar kommentieren soll, und scheint GroÃvaters Anteil überschaubar zu sein: Nur bei den Verhandlungen übers Brautgeld und den Ehevertrag, die eine Woche nach dem Picknick anstehen, scheint er eine tragende Rolle zu spielen, soweit ich beim Durchblättern schon sehe. Nicht einmal der Besuch in Siegen, den GroÃvater so lang ausbreitet, ist der Mutter ein Kapitel wert. Gut, für sie war es vermutlich nur ein Besuch von vielen, das Gästezimmer später fast immer von Verwandten oder iranischen Geschäftspartnern des Vaters belegt.
Wie es üblich ist, treffen sich die Männer beider Familie im Hause der Braut: hier die groÃbürgerlichen, weltlich ausgerichteten Angehörigen der Mutter, Ãrzte, Armeeoffiziere, Naturwissenschaftler oder Direktoren, dort die Verwandtschaft des Vaters aus der Altstadt, Händler, kleine Beamte und zum Entsetzen von GroÃmutters Brüdern zwei leibhaftige Mullahs mit Turban, Gewand und langem Bart. Nur GroÃvater ist nicht überrascht, der hinter dem älteren der beiden Geistlichen häufig schon betete, einem angesehenen Ajatollah, der die Konstitutionelle Revolution in Isfahan unterstützte und auf der Seite Doktor Mossadeghs stand. Von den Frauen darf nur die GroÃtante mit in den Salon, GroÃvaters ältere Schwester; alle anderen, mitsamt der Mutter, der Tanten, der
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