Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
Morgen zum Frühstück ruft, als der in der Annahme, unbemerkt geblieben zu sein, gerade durchs Fenster verschwinden will, wie der Vater beichtet, sich das Brautgeld vollständig von seinem Onkel geborgt zu haben, selbst der Hochzeitsanzug geliehen gewesen sei und er keineswegs über Vermögen verfüge, um ihnen ein Haus zu kaufen, in das sie einziehen könnten, aber er verdiene ja bei den Amerikanern gutes Geld, das mit dem Haus werde so Gott will schon klappen, wie er kurz darauf kündigt, weil er nicht länger für die Amerikaner arbeiten will, die Doktor Mossadegh gestürzt haben, und aufs Land zieht, wo er in einem Umkreis von fünfzig kaum befahrbaren Kilometern der einzige Arzt ist, obwohl noch Student, wie die Mutter sich bereit erklärt, ihn wenigstens zu besuchen, und nach der Ankunft erfährt, daß der nächste Bus erst in sieben Tagen nach Isfahan zurückfährt, und da steht sie mit ihrem Handtäschchen auf der staubigen Dorfgasse, keine Spur vom Vater, der mit seinem Fahrrad bis zum Abend unterwegs ist, um Kranke zu behandeln, umringt von glotzenden Bauern, die zum ersten Mal eine junge Frau aus der Stadt sehen, eine Frau ohne Kopftuch und mit einem Rock bekleidet, der nur bis zu den Knien reicht, in der Hand ein Täschchen, und jemand zeigt ihr das Lehmzimmer, in dem der Vater wohnt, kein Strom, kein Glas in den Fenstern, kein fließend Wasser, wie die Eltern in der ersten Nacht die Ehe auf einer schmalen Krankenliege vollziehen, soviel Angst hatte die Mutter davor, aber es ist wunderschön, wie der Vater sich am nächsten Morgen übernächtigt wieder aufs Fahrrad setzt und sie, die noch nie einen Besen in der Hand hielt, die Lehmhütte fegt, sie, die das Landleben nur aus der Perspektive des Herrenhauses kannte, sich den Bauern als neue Nachbarin vorstellt, sie, die noch nie hinter einem Herd stand, Gemüse schneidet, auf dem Gaskocher kocht, sich Teller und Besteck ausleiht, den Teppich ausklopft, um darauf das Abendessen so gut es geht anzurichten, wie er verschwitzt und strahlend in die Lehmhütte tritt und gar nicht mehr aufhören kann, ihr küssend für alles zu danken, wie er sich dann doch auf den Teppich setzt und sie stolz das Reisgericht serviert, wie beide mit großem Appetit die Löffel zum Mund führen und den Reis wieder ausspucken müssen, weil die Körner hart wie Stein sind, wie er zu lachen anfängt, prustend zu lachen, und sie ansteckt, nein, das führt der Sohn jetzt nicht mehr im einzelnen aus, das würde zu weit führen in dem Roman, den ich schreibe. Nur soviel am Samstag, dem 29. Mai 2010, um 21:45 Uhr, weil die vierte Poetikvorlesung nur noch Korrektur gelesen und geübt werden muß: Jeden Morgen radelt der Vater los und belegt die Mutter einen Intensivkurs in Lebenspraxis, jeden Nachmittag kehrt er verschwitzt, aber strahlend zurück in das Lehmzimmer und richtet sie so gut es geht das Essen an. Jeden Abend beschwört er seine Liebe und schüttelt sie die Münzen aus seiner Jackentasche, die er während des Tages verdient hat, um sie zu zählen und bis heute im Haus das Geld zu verwahren. Natürlich freut sie sich auf den Bus, der sie nach sieben Tagen zurück nach Isfahan bringen wird, freut sich auf ihre Familie, auf ein warmes Bad, ein frisch gemachtes Bett, saubere Wäsche, das Essen von Mohammad Hassan und wieder bedient zu werden. Leider regnet es in Strömen, der Bus schafft den Anstieg nicht und muß umkehren, so daß die Mutter eine weitere Woche im Dorf verbringt. »Als wir in der darauffolgenden Woche endlich in den Bus einsteigen wollten, kam eine Gruppe aufgeregter Bauern und Bäuerinnen mit dem Dorfvorsteher an der Spitze die Dorfstraße hinuntergeeilt: ›Herr Doktor, Herr Doktor!‹ Einer der Bauern trug einen Jungen auf den Armen, dessen Gesicht blau angelaufen war und der in kurzen Abständen hustete. ›Was ist passiert?‹ schrie mein Mann. Eine Tablette steckte in der Luftröhre fest. Die Bauern weinten und flehten den hochstehenden Herrn Doktor an, den Jungen zu retten, aber meinem Mann stand das Entsetzen selbst ins Gesicht geschrieben. Er war Mitte Zwanzig, hatte sein Studium noch nicht beendet und noch nie einen Fall von Leben und Tod behandelt. Er schüttelte den Jungen, versuchte, die Tablette aus der Luftröhre zu pressen, und steckte ihm den Finger in den Hals, damit er sich übergab – nichts half. ›Es

Weitere Kostenlose Bücher