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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Leute des Standes, dem die Eltern angehörten, gewesen sein müssen, das Tradierte noch lebendig genug, daß man sich nicht fragte, wer man sei, die Moderne noch wie eine Abenteuerexpedition. Und wirklich, bestätigt die Selberlebensbeschreibung der Mutter, es war eine gute Zeit, eine gute Zeit auch mit dem Vater – »Das Leben zeigte mir sein freundliches Gesicht« –, in der sich ihre Konflikte gleichwohl fortsetzten und vertieften, nur daß sie nicht mehr bei Großvater Zuflucht suchte, als sie der nimmersatten Gelüste wegen kurz nach der Geburt des späteren Orthopäden schon wieder schwanger war. Wie sie auf der Suche nach einem Arzt oder Quacksalber, der ihr das Kind abtreiben würde, durch Isfahan irrt, unterm ungewohnten Tschador, damit niemand sie erkennt, wie sie eine Französin findet, die erforderliche Zustimmung des Ehemanns fälscht, zweitausend Tuman von ihrem eigenen Konto bei der Nationalbank abhebt, ohne daß Großvater es bemerkt, und sich im Gästezimmer einer fremden Wohnung zwischen den Beinen herumfuchteln läßt, ist lesenswert nicht nur als soziologisches Material. Allein, es betrifft nicht das Leben Großvaters, der nie davon erfuhr, und nebenbei bemerkt auch nicht das Leben des späteren Internisten, der vierzehn Monate nach dem späteren Orthopäden dennoch zur Welt kam – eine leichte Geburt, wie Mutter sich nach über fünfzig Jahren noch wundert. Dieses eine Mal ärgerte sie sich nicht über das herausgeschmissene Geld.
    Immerhin findet der berühmte Schriftsteller auch positive Worte: »Meine Bewunderung Deiner Arbeitskraft ist grenzenlos.« Er habe im Alter des jüngeren Kollegen zwar auch geschuftet, »aber erstens nicht so viel«, und zweitens habe ihm seine Frau sämtliche Pflichten des Haushalts und der Familie abgenommen, er habe arbeiten können wie ein Junggeselle: »Ich sehe Dich in einem wahren Schaffensrausch, und das ist ein Zustand, in dem jede Stimme von außen, die nicht vor allem ›Weiter, weiter!‹ ruft, unnütz ist und kaum wahrgenommen wird.« Der berühmte Schriftsteller lobt durchaus die Passagen über Jean Paul – »großartig«, schreibt der berühmte Schriftsteller, »es dürfte in den letzten Jahrzehnten wenig so Erhellendes zu ihm gegeben haben«, und erhellt dann selbst Jean Pauls Vorläufer und Bezüge, Hamann und Sterne, als müsse er im Gestus eines Germanisten, wie Germanisten oft gar nicht mehr sind, die Begeisterung des jüngeren Kollegen literarhistorisch relativieren. Wer, wenn nicht ein Schriftsteller, ein berühmter Schriftsteller, müßte wissen, daß jede Verzauberung die erste ist, mag sie Hunderttausenden anderer Lesern schon geschehen sein? Auf die Belehrung folgt der erste, noch aus dem Handgelenk gezückte Hieb, den der berühmte Schriftsteller dem jüngeren Kollegen versetzt, indem er betont, daß Jean Pauls »Alles-Sagen« mit der größten Verschwiegenheit einhergehe. Den Zugang zu Hölderlin findet der berühmte Schriftsteller dann wieder gescheit, der junge Kollege mache die Frankfurter Ausgabe »erst richtig fruchtbar in der Einbettung dieses einzigartigen Lebens in die Alltäglichkeit, wenngleich das Rätsel dieses Werks sich dadurch noch mehr verdichtet«. Das klingt doch ganz anständig, will sich der jüngere Kollege schon beruhigen, da legt der berühmte Schriftsteller erst richtig los, sein nächster Einwand kaum abzuwehren, wiewohl der jüngere Kollege doch das grauenhafte Ende von Halladsch, von Empedokles, auch von Hölderlin eindringlich genug geschildert und die eigene Farce bis hin zum Grobenklo danebengestellt zu haben meint: »Ich weiß nicht, ob das Erlebnis der Mystiker – ›Ich bin Gott‹ – nicht vielleicht doch etwas zu widerstandslos geschildert ist – wie ausgebrannt das menschliche Gefäß sein muß, daß es nicht nur fähig ist, ausschließlich Gott zu enthalten, sondern sich selbst überhaupt nicht mehr wahrnehmen kann – das grausame irdische Schicksal, das vielen solcher Mystiker beschieden war, ist ja nicht einfach der Bosheit orthodoxer Intoleranz zu verdanken, sondern eigentlich die notwendige und damit auch gerechte Konsequenz einer solchen radikalen Trennung von der eigenen Geschöpflichkeit. Hoffentlich werden die Bildungsspießer, die zu 95 Prozent die sogenannte Leserschaft bilden,

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