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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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dies ›Ich bin Gott‹ nicht zu behaglich finden und sich über den Schock der Religion beruhigen können – ›Ach so, der Gott, von dem er spricht, ist er selber oder Herr Hölderlin etc.‹« Die Passagen über den Großvater, damit einen Großteil des Romans, den ich schreibe, liest der berühmte Schriftsteller mit Spannung und freut sich jedesmal darauf – als ob fünfundneunzig Prozent der Leserschaft die Hymne auf das Land der Franken nicht zu behaglich fänden und sich nicht gern über Migrationsliteratur beruhigten. Was so Gott will stimmen wird und ein wirkliches Geschenk wäre, formuliert der Satz, der in dem Brief des berühmten Schriftstellers folgt: »Vielleicht ist dies ein Buch, in dem sich jeder das heraussucht, mit dem er etwas anfangen kann – dem neutestamentlichen Hausvater vergleichbar, der ›Alles und Neues‹ aus seiner Truhe hervorholt.« Dann aber kommt’s, und der schöne Satz stellt sich nur als Einleitung zum strengen Tadel heraus, fast als Fluch, der den jüngeren Kollegen wieder taumeln läßt. Und dennoch nimmt der jüngere Kollege das Wort des berühmten Schriftstellers dankbar auf, weil die Wahrheit, die sich in der Schmähung ausdrückt, nicht mehr die des älteren Kollegen ist, sondern des Freundes, des Bruders, des Vaters: »Ich bin nicht, das sage ich Dir offen, bei den Passagen verweilt, die Dein häusliches Leben schildern [es ist nicht mein häusliches Leben! ärgert sich der jüngere Kollege über die Gedankenlosigkeit selbst bei einem so berühmten Schriftsteller]. Ich finde, daß Du die Wahrheitskraft der Peinlichkeit überschätzt – Deine großen Vorbilder Hölderlin und Jean Paul haben das nicht getan. Schon bei der Stelle mit dem Uringeschmack der Ehefrau auf der Zunge [auf der dritten Seite also!, staunt der jüngere Kollege] hätte ich, wenn Du es nicht geschrieben hättest, bei jedem anderen aufgehört zu lesen. Milliarden Menschen sind verheiratet – über das Eheleben dürfte es auf Erden wenig Illusionen geben [wenn das Argument zählte, hätten Philip Roth, Rolf Dieter Brinkmann, John Coetzee und Wolfgang Hilbig, um nicht wieder mit István Eörsi anzufangen, kein Buch schreiben, Ingmar Bergman seinen Film nicht drehen dürfen]. Scham ist für mich kein Zeichen von Verklemmtheit, sondern eine menschenfreundliche Eigenschaft, die Menschen mit dem zu verschonen, was sie ohnehin wissen, aber nicht ändern können [Literatur ist nicht menschenfreundlich!, um des Menschen willen darf sie es nicht sein, und schon gar nicht, nie!, sich abfinden] – das Beschweigen muß nicht nur Verlogenheit und Heuchelei, es kann auch Takt und Diskretion sein [wie man im Land der Maschinen auch taktvoll zu sterben und diskret zu klagen versteht]. Und dem Zelebrieren des Ekelhaften und Grausamen steht dazu heute kein Hindernis entgegen, der Literaturspießer hat’s gern mit haut-goût – wenn Dich bestimmte Leute für ›deinen Mut‹ loben werden, verstehst du vielleicht besser, was ich meine [wahrscheinlich]. Es klingt übrigens naiv – was Du ja wahrlich nicht bist –, Deinen Roman immerfort gegen einen ›konventionell‹ geschriebenen Roman abzusetzen – die Literaturwissenschaftler könnten Dir vorrechnen, in welchen Konventionen Du Dich bewegst, Du selbst machst ja da den Anfang, seltsamerweise erwähnst Du die Bekenntnisliteratur zwischen Augustinus und Rousseau nicht [doch wohl aus dem gleichen Grund, aus dem der jüngere Kollege nicht auf Hamann und Sterne eingeht], die großen Paten der ›Alles-Sager‹. Aber Konfessionen macht schließlich jeder Schriftsteller – gerade, wenn er keine machen will.« Danach folgen wieder versöhnlichere Sätze: Wenigstens habe der jüngere Kollege selbst die Überhöhung des eigenen Ichs als Gefahr benannt, der ein Schriftsteller dann aber auch – was der junge Kollege also offenbar versäumt hat – ausweichen müsse, um dem Leser nicht zur Last zu fallen. »Das ist der Widerspruch: Wir müssen in der Literatur von uns selbst sprechen, weil wir für anderes keine Autorität haben, aber der Leser muß davon abgelenkt werden, man mag es nur in kleinen Dosen.« Das genau ist der, ist einer der Glaubenssätze, die den jüngeren Kollegen vom berühmten Schriftsteller trennen: Er denkt nicht an Sie,

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