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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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rechten Daumen auf die linke Maustaste klicken und den Ordner in den Abfallkorb ziehen wie manch Gottesfürchtiger seinen Sohn. Auch wenn die Dateien auf dem USB -Stick gespeichert sind, verstünde sie den Fingerzeig, zu welchem Opfer er bereit wäre, es vielleicht gar nicht wollen, aber anerkennen und erweichen im Sinne von weich werden, nicht schwach. Sie ist doch nicht allzu nüchtern, wie jede Frau an der Seite eines Mannes geworden wäre, der vier Jahre lang auf einen Bildschirm starrt, ohne je sie daran teilhaben zu lassen, der davor schon so kalt gewesen, bis sie zum Fall für die Intensivmedizin geworden war, und endlich liest sie den Roman, den ich schreibe, in der Hoffnung, daß er ihr irgend etwas sage, die letzten vier Jahre und davor die Intensivstation irgend rechtfertige, wenn schon nicht erkläre, und findet jedes Wort über sie gefroren – nur die Frau nennt er sie, nicht meine, immer nur: die Frau, wie ein Stück Vieh, das nicht einmal einem selbst gehört –, sondern hat ihres Frühlings doch auch ahndend und liebend gelebt. – Wenigstens ist es ein schöner Ort, sich zu trennen, seufzte er Freitag vor acht Tagen unweit Florenz, als die Kinder noch schliefen, in der Nacht zuvor aus Spanien eingetroffen, achtzehn Stunden wegen Stau, die wütenden Blicke verhuscht, damit die Kinder nichts merken, die natürlich alles gemerkt haben, auch die Frühgeborene, um die sich die Ältere rührend kümmerte, geflüsterte Krisengipfel an Autobahnraststätten und Änderungen des Bestimmungsorts im Navigator, erst Provence, wo er last minute ein Romantikhotel gebucht hatte, damit die Reise doch noch zum Urlaub gerate, dann direkt Köln, weil keine Romantik mehr zu erwarten und das Geld fürs Hotel also herausgeschmissen war, dann doch vor Lyon abgebogen und zum weiß nicht wievielten Mal in zwei Jahren Goethe nach über die Alpen, um das Gepäck der Frau und der Kinder abzuholen. Nach Köln brauchten sie am nächsten Tag nur fünfzehn Stunden, weil keiner von beiden am Bestimmungsort mehr rüttelte, keine geflüsterten Gipfel mehr nötig. Nur der Stau blieb sich gleich. Zu allem Überfluß ist auch noch das Büro zwischenvermietet, um sich einen ganzen Sommer nahe Florenz zu leisten, so daß er sich um drei Uhr früh das Gästebett machen mußte. – Wie eine Amputation ohne Narkose kommt es mir vor, sagte er der Frau Samstag vor acht Tagen morgens im Badezimmer, wobei das Bewußtsein gar nicht vollständig war, der Schmerz schon, der war seiner, aber unscharf, als hätte er die Brille nicht aufgesetzt, sah er jemandem zu, der oft Romanschreiber, sonst Sohn, Vater, Mann, Freund, Nachbar oder Handlungsreisender, hin und wieder Enkel, regelmäßig Berichterstatter, dann wieder Orientalist, ein Jahr lang die Nummer zehn, an einigen Stellen Navid Kermani und zuletzt Poetologe genannt wurde. Ich bin es, ich bin es doch selbst, sagte er sich immer wieder und überzeugte sich von seinem Namen, als er Sonntag vor acht Tagen dem Anwalt mailte, und Montag vor acht Tagen rief der Anwalt morgens selbst an, auch geschieden, es ist eine fürchterliche Sache, im Männerton: muß man nicht drum herum reden, sehr schmerzlich, dabei waren seine Kinder schon erwachsen, und Ihre?, meine elf und drei und das Schmerzlichste an der … an der Sache. Vom niederschmetternden Eindruck, vor Gott versagt zu haben, der ihm mit der Geburt der Kinder die Aufgabe übertrug, sie zu behüten, sagte der Mann dem Anwalt nichts. Daß Gott auf seine Kinder ebensowenig achtgibt, würde den Mann nicht von seiner Schuld erlösen. Die Ältere weiß es noch nicht, das heißt: weiß es schon, aber noch nicht, daß endgültig alles vorbei ist, genausowenig die Eltern, iranische Eltern, beide um die achtzig, in ihren großen, über die Welt verstreuten Familien niemand je geschieden. – Warte damit, bis ich gestorben bin, hatte der Vater schon letzten Sommer gebeten, aber selbst die Brüder sehen ein Jahr nachdem das Wort Scheidung zum ersten Mal fiel, keine andere Therapie, Mediziner immerhin, die Leib und Seele betrachteten während ihrer und dann seiner Krankheit. – Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, sagte der Anwalt mit Blick auf das beiderseitige Einverständnis, kostbar genug: Ziehen Sie’s durch, so schnell Sie können, deshalb die Eile und Entschlossenheit, aber so eilig doch auch nicht,

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