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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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lassen. Eine weitere Stunde später fährt ein dritter Panzerwagen vor. Die hochgewachsene Blonde, die aussteigt, trägt dunkle Sonnenbrille, Jeans, Turnschuhe, weißes, bis über den Brustansatz offenes Hemd, Lederjacke. Breitbeinig stellt sie sich wie vor unartigen Kindern auf, Hände in die Hüften. Der Ton schlägt um. – Welcher von denen ist der Kerl? schnauzt sie ihre Landsleute an. Wie Petzer in der Schule zeigen sie auf den Photographen, dem die Blonde dreißig Sekunden Zeit gewährt, den Film auszuhändigen. – Es ist der falsche Augenblick für eine Diskussion, murmelt der deutsche Presseoffizier in seiner Muttersprache. Bevor die Besucher die Rundfahrt fortsetzen dürfen, werden die Papiere überprüft und alle Namen und Daten notiert, auch die der vier Presseoffiziere und der sechs britischen Bewacher, die aus dem Hauptquartier mitgekommen sind nach Bagram, wo dreitausend amerikanische Soldaten, fünftausend Zivilisten und zweitausend afghanische Tagelöhner wie in einer Kleinstadt leben, die auch im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten stehen könnte, aber genausogut auf dem Balkan, in Afrika oder im Irak: eine Shoppingmall mit allen Segnungen des amerikanischen Marktes, Post, Bank, Sportstudio, Friseure, Beauty und Spa Shop, Volkshochschulkurse, ein Fachgeschäft für Orientteppiche, die einschlägigen Hamburger-, Pizza- und Kaffeeketten, sogar Bushaltestellen, nur daß die Bewohner sich auf dem Bürgersteig militärisch grüßen. Lustig sieht das aus, wenn der Bürgersteig belebt ist, beinah wie im Zeichentrickfilm: Hand hoch runter hoch runter hoch. Noch seltsamer sind im Sportdreß die Jogger, die dennoch das Maschinengewehr auf dem Rücken tragen und den militärischen Gruß ebensowenig auslassen. Afghanistan wird im sogenannten »Yurta-Tent« aufgeführt, in dem zwei Kirgisinnen Souvenirs made in China verkaufen: »We give a percentage of our annual sales directly to foundations that inspire messages of hopes for our continued freedom.« – Für mich ist der Tag auch nicht zu gebrauchen, sagt der Berichterstatter auf der Rückfahrt. – Nicht einmal die Blonde? fragt der Photograph, dessen Tag beschlagnahmt worden ist. – Wäre nur die Entsprechung zum bärtigen Fundamentalisten mit Faust und Koran. Einfühlung bedeutet nicht Kritiklosigkeit, aber es bedeutet Verständnis, und in dem Moment, in dem man etwas zu verstehen beginnt, beginnt man die Gründe nachzuvollziehen für das, was man vielleicht immer noch falsch findet, und wenn man die Gründe nachvollziehen kann, ist man schon nicht mehr so sicher, ob man nicht genauso denken und handeln würde, wenn … und so weiter. Das ist notwendig, um zu berichten, ein mimetischer Vorgang. – Allenfalls erwähne ich den Hummer. – Auf dem Rückflug nehmen sie vielleicht die Gefangenen mit nach Kuba. – Das wäre wenigstens einmal effizient.
    Der kleine Konvoi hält an der Paßbehörde von Kabul, weil der Photograph seinen Aufenthalt verlängern möchte. Vielleicht billigten die Presseoffiziere den Abstecher, um zu zeigen, daß der Nordatlantikpakt und die Afghanen völlig normal miteinander umgingen und es kein Problem sei, spontan die Paßbehörde aufzusuchen. Allein, nichts an dem Vorgang ist normal. Je zwei Presseoffiziere und zwei Soldaten steigen in ihren Astronautenanzügen aus der Kapsel, um den Photographen zu begleiten, der ebenfalls Helm und Schutzweste tragen muß. Sofort macht sich unter den Afghanen vor der Paßbehörde Unruhe breit. Nicht daß sie aggressiv wirken, im Gegenteil, eher scheinen sie sich zu fürchten, halten erkennbar Abstand und entfernen sich rasch von der Tür, auf die die Astronauten mit salam , salam -Rufen zusteuern, um sich nach dem richtigen Amtszimmer zu erkundigen. Es ist wirklich keine dankbare Aufgabe für eine schwer bewaffnete, mit Headset, Helm, Sonnenbrille und Schutzweste ausgestattete Gruppe junger Europäer in Kampfanzügen, auf Einheimische freundlich zu wirken. Die Soldaten bemühen sich redlich, das sieht der Berichterstatter aus dem Panzerwagen, aus dem er nicht aussteigen darf, lächeln angestrengt, werfen die Maschinengewehre demonstrativ hinter den Rücken, halten die Handflächen beschwichtigend nach unten, die Tollkühnen nehmen sogar salam , salam rufendihren Helm ab. Und wirklich bildet sich ein kleiner Pulk von

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