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Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)

Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Dein totes Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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flüsterte.

    Ganz allmählich verebbte ihr Schluchzen. Reglos lag sie an seiner Brust und blickte auf das in sich zusammensinkende Feuer. Sie war müde, so unendlich müde wie seit langem nicht mehr, doch es lag eine unerwartete Ruhe in dieser Müdigkeit.
    War sie endlich angekommen?
    Der Gedanke war plötzlich da, so unverhofft, wie Ulf plötzlich da gewesen war. Sie wagte nicht, ihm freien Lauf zu lassen.
    »Hej«, sagte Ulf leise. »Geht es dir besser?«
    Sie nickte, unsicher, ob ihre Stimme ihr bereits wieder gehorchte. Ulfs Finger spielten mit der Kette, die sie um den Hals trug. Die Stille hatte nichts Beengendes mehr. Sie war wie ein Tuch, das sie beide bedeckte und abschirmte von der Welt und ihrem Rauschen. Nur das tiefe Atmen des Hundes und das leise Knistern der Glut im Kamin waren zu hören.

9.
    E in Kind. Von seinem Platz auf der Couch starrte er am Kamin vorbei in die Nacht jenseits der großen Fensterfront und spürte, wie ihm erst heiß, dann kalt wurde. Eine Tochter. Lianne. Sie hatte dem Mädchen den Namen seiner Großmutter gegeben. Er war wie vor den Kopf geschlagen, schluckte und versuchte vergeblich, des Tumultes seiner Gefühle Herr zu werden. Caroline lag in seinen Armen, und er wagte nicht, sie anzusehen.
    In seiner Phantasie formte sich ein Leben, das möglich gewesen wäre. Er dachte an Håkan und seine Familie. An die müden Augen seines Kollegen nach einer durchwachten Nacht am Bett eines Kindes, an Håkans Ängste, als seine beiden Töchter flügge wurden, und an all die Gespräche, die sie geführt hatten. An seine eigenen Besuche im Haus der Bergströms und die naiven neugierigen Fragen der Mädchen, die ihn die Welt von einer anderen Warte aus betrachten ließen. Und er stellte sich vor, dass irgendwo auf dieser Welt seine eigene Tochter aufgewachsen war, während er Håkans Töchter auf seinen Knien geschaukelt hatte, ihnen Geschichten erzählt und mit ihnen Lieder gesungen hatte. Er verdrängte die Gefühle, die dieser Gedanke in ihm auslöste. Er war kein Vater, hatte nie einer sein wollen. Dem biologischen Trieb zur Verbreitung ihrer Gene folgend, zeugten viele seiner Geschlechtsgenossen jeden Tag Kinder ohne den expliziten Wunsch, ihren Nachwuchs aufwachsen zu sehen. Aber … hätte er sich anders entschieden, wenn er die Wahl gehabt hätte?
    Caroline regte sich und riss ihn aus seinen Gedanken. Ihr Körper lag warm an seinem, ihr Haar verströmte denselben Geruch wie früher, so schien es ihm zumindest, und ihre Nähe besaß etwas Vertrautes, das eigentlich unmöglich war. Er hatte seine Schutzmechanismen gefährlich weit heruntergefahren, nur so konnte er die Situation mit all seinen Sinnen aufnehmen und sie festhalten als einen der seltenen, kostbaren Augenblicke von zwischenmenschlicher Nähe – ein Zustand, der erfahrungsgemäß nicht von Dauer war und in diesem besonderen Fall schon gar nicht.
    Caroline schien sich dessen ebenfalls bewusst zu sein. »Es ist spät, nicht wahr?«, fragte sie jetzt leise.
    Es war fast dunkel in dem großen Raum, das Feuer war heruntergebrannt, und lediglich die Stehlampe an der Fensterfront zum See verbreitete gedämpftes Licht. Er versuchte, auf seiner Armbanduhr etwas zu erkennen. »Gleich halb zwölf«, sagte er schließlich.
    Sie richtete sich auf, und das halblange blonde Haar fiel ihr ungeordnet ins Gesicht. Unsicher sah sie ihn an.
    »Was ist?«, wollte er wissen.
    »Würdest du hier übernachten? Ich glaube, ich möchte jetzt nicht allein sein.«
    Er zuckte innerlich zusammen. Ihrem Wunsch Folge zu leisten hieße, ihre Begegnung, die so schon schwierig genug war, weiter zu komplizieren. Aber konnte er Caroline jetzt einfach sich selbst überlassen? Er räusperte sich. »Ist es dir nah genug, wenn ich im Gästezimmer schlafe?«
    »Im Gästezimmer?«, erwiderte sie. »Natürlich.« Weder ihre Miene noch ihre Stimme verrieten, ob sie etwas anderes erwartet hatte.

    Er stand in der Tür, während sie das Bett bezog. Das Gästezimmer war klein, das breite Bett füllte es fast gänzlich aus. Wände, Decke, alles war aus Holz. Hatte ihr deutscher Freund hier auch geschlafen? Er wagte nicht zu fragen, suchte aber intuitiv nach Spuren, die er hinterlassen haben könnte. Doch das Zimmer wirkte, als wäre es seit Monaten unbewohnt.
    Caroline wandte sich zu ihm um. »Im Badezimmerschrank ist eine neue Zahnbürste und …«
    »… Handtücher sind auch im Schrank, wenn ich mich recht erinnere«, fiel er ihr ins Wort. Hier hatten sie gemeinsam

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