Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
Sveg zurückgekommen war, noch zu einem späteren Zeitpunkt. Er war den Verdacht nie losgeworden, dass sie genau wusste, was passiert war. Manchmal besaß das Unausgesprochene mehr Bedeutung als das, was gesagt wurde.
Er seufzte, schüttelte die Erinnerungen ab und konzentrierte sich auf die Straße vor ihm, auf der er nur langsam vorankam. In dichten Wolken trieb der Wind den Schnee vor sich her, und dort, wo weder Bäume noch Häuser das wilde Gespann aufhielten, bildeten sich erste Schneewehen. Auf halbem Weg kamen ihm die orangeroten Lichter eines Räumfahrzeugs aus dem wirbelnden Dunkel entgegen. Für die Fahrer würde es heute ebenfalls keine Nachtruhe geben.
Sein Mitarbeiter wartete bereits auf ihn. »Ausgerechnet heute Nacht«, fluchte Ole und stieg in Björns Wagen. »Bei dem Wetter!«
»Wann denn sonst?«, fragte Björn. »Aber tröste dich, wir werden gut dafür bezahlt.«
»Das will ich hoffen.«
Augenblicke später erreichten sie die Liftstation, und als Björn die Tür seines Pick-ups öffnete, hörte er über den Sturm hinweg sogleich das Scheppern der losen Verkleidung. Er trieb seinen Mitarbeiter zur Eile an, denn wenn der Wind erst einmal unter die losen Teile griff, würde eins der großen Kunststoffpaneele nach dem anderen abreißen. Und das mitten in der Saison.
»Die Platten haben verdammt viel Gewicht«, rief Björn Ole über den Wind und das Scheppern hinweg zu. »Sei vorsichtig! Wir werden heute keinen Rettungshubschrauber bekommen, und die Straße nach Sveg ist sicher schon zu.«
»Nimm dir das selbst zu Herzen!«, schrie dieser zurück.
Der Liftbetreiber hatte große Halogenstrahler aufgestellt, die die Szenerie in ein gleißendes Licht tauchten. Björn und Ole waren ein eingespieltes Team, und trotz der widrigen Bedingungen arbeiteten sie ruhig und konzentriert. Nach einer guten Stunde waren sie fertig, schneller, als Björn gehofft hatte.
»Kommt noch mit rein auf was zu trinken«, lud der Liftbetreiber sie ein, aber Björn lehnte dankend ab. Der eisige Wind hatte ihn trotz seines Overalls bis auf die Knochen ausgekühlt. Er wollte nur noch unter die warme Dusche und zurück ins Bett. Und seine Entscheidung war richtig, wie sich gleich darauf herausstellte. Die Straßenverhältnisse im Dorf waren trotz des ständigen Einsatzes der Räumfahrzeuge so schlecht, dass er mehr als dreimal so lang für die kurze Strecke vom Lift bis nach Hause benötigte. Als er seinen Wagen auf das Grundstück fuhr, sah er Licht im Haus seiner Eltern brennen. Vermutlich hatte sein Vater gehört, dass er weggefahren war. Er ging hinüber, und der alte Herr öffnete ihm im Bademantel die Tür. »Die Liftstation, ja, ich hab mir schon gedacht, dass es da bald Ärger geben würde«, erwiderte er, nachdem Björn ihm davon erzählt hatte. »Vor ein paar Tagen erst war ich da und hab es klappern gehört. Der Betreiber wollte sich darum kümmern. Ist jetzt alles in Ordnung?«
»Vorerst«, bestätigte Björn. »Wenn der Sturm sich gelegt hat, müssen wir wohl noch mal hin.«
»Das kann noch ein paar Tage dauern«, bemerkte sein Vater. »Ich habe eben im Radio gehört, dass es sogar noch schlimmer werden soll. Der Fernsehempfang ist schon gestört.«
Björn dachte an Caroline. Ihr Haus lag so weit außerhalb, dass die Straße sicher längst unpassierbar war. Er hoffte nur, dass sie ausreichend Vorräte im Haus hatte. Zurück in seinen eigenen vier Wänden, schickte er ihr eine SMS. Er erhielt keine Antwort, auch am nächsten Morgen nicht, an dem der Schneesturm ungebremst weitertobte, aber er verdrängte die Sorge, die in ihm aufstieg. Solche extremen Wetterlagen führten zu Störungen in den Mobilfunknetzen, außerdem gingen bereits die nächsten Notrufe bei ihm ein, die seine Aufmerksamkeit forderten.
15.
C aroline fand keinen Schlaf, obwohl sie nach dem langen Tag todmüde war. Unruhig wälzte sie sich im Bett von einer Seite auf die andere, während die Bilder des toten Elchs und Ulfs regloser Gestalt hinter dem Steuer sie verfolgten. Der Hund hatte sie auf den Unfall aufmerksam gemacht. Er hatte nicht aufgehört zu bellen und sich wie wahnsinnig aufgeführt, bis Caroline ihm nach draußen gefolgt war. Der Anblick des verletzten Elchs im Licht der Autoscheinwerfer, dem Blut aus Nase und Maul lief und der zunächst noch verzweifelt versucht hatte aufzustehen, bis er schließlich erschöpft den Kopf in den Schnee hatte sinken lassen, war schrecklich gewesen. Sie hatte nur an Lianne denken können und
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