Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
erschrak ob der Heftigkeit der Emotion, die ihm mit einem Mal entgegenschlug. »Sie haben ihn am nächsten Morgen in seinem Haus festgenommen, da hatte er noch immer fast zwei Promille Alkohol im Blut.« Geballte Wut hatte die Trauer aus ihren Augen, ihrer ganzen Haltung vertrieben.
»Hast du ihn deswegen getötet?«
»Nein.« Sie griff nach der Whiskeyflasche, schenkte sich nach und leerte das Glas in einem Zug. Lange sagte sie nichts, und er spürte, wie sie um Fassung rang. »Er hatte einen Anwalt, der ihn auf Kaution aus der Untersuchungshaft herausgeholt hat«, entgegnete sie schließlich gepresst.
»Hatte er Geld?«
»Anzunehmen.« Sie drehte das leere Glas in ihrer Hand. »Ich weiß nicht, ob es Geld war. Auf jeden Fall kannte er die richtigen Leute.«
Es fiel ihm schwer, ruhig zu bleiben, als er begriff, worauf es hinauslief. »Du glaubst, dass er sich mit Hilfe seines Einflusses einer Verurteilung entzogen hat«, stellte er fest und fragte sich gleichzeitig, ob das tatsächlich möglich war. Etwas von seinem Unglauben musste sich in seine Stimme geschlichen haben, denn Caroline starrte ihn plötzlich wütend an. »Nach Liannes Beerdigung ist das Verfahren gegen ihn eingestellt worden«, warf sie ihm trotzig entgegen. »Das sagt doch alles!«
»Das gibt dir noch lange nicht das Recht, ihn zu erschießen«, erwiderte er zornig.
»Musst du jetzt den Polizisten rauskehren?«
»Mit dem, was du getan hast, hast du Lianne nicht wieder lebendig gemacht!«, stieß er hervor, nicht mehr in der Lage, seinen Zorn zu zügeln, »aber zu ihrem ist auch noch dein Leben ruiniert. Ist es das, was du wolltest?«
»Du verstehst nichts, gar nichts!« Ihre Stimme überschlug sich. Sie sprang auf, stieß dabei den Stuhl so heftig zurück, dass er umfiel, und stürmte aus der Küche.
»Da gibt es nicht viel zu verstehen!«, brüllte er ihr hinterher.
Abrupt blieb sie stehen und wandte sich um. »Was willst du von mir hören?«, schrie sie. »Dass ich die Tat bereue, dass ich mich deswegen schlecht fühle?«
»Ist es nicht so?«
»Nein, verdammt noch mal, ich würde es wieder tun, immer wieder …« Die Tür knallte hinter ihr zu.
Er sprang auf, lief ihr hinterher. Im Flur bekam er sie zu fassen und drückte sie gegen die Wand. »Das ist nicht wahr. Sag, dass es nicht wahr ist!«
»Lass mich los«, zischte sie. »Glaub nicht, mich zu kennen. Du tust es nicht. Du hast es niemals getan!«
Ihre Worte trafen ihn wie Ohrfeigen, und er packte sie bei den Schultern und schüttelte sie. »Lilli, hör auf! Mach nicht noch mehr kaputt.«
Sie keuchte. Er schloss sie in seine Arme. In einem letzten Versuch des Widerstands schlug sie mit den Fäusten gegen seinen Brustkorb, versuchte, ihn von sich zu schieben, dann sackte sie in sich zusammen, klammerte sich an ihn und drückte ihren Kopf gegen seine Brust.
Genauso war es früher gewesen. Wie ein wildes Tier hatte sie um sich gebissen, hatte sich in eine Hysterie gesteigert, in der sie blind vor Schmerz und verletzten Gefühlen um sich geschlagen und Dinge ausgesprochen hatte, die auch nach einer Entschuldigung hängengeblieben waren und nachhaltig vieles in Frage gestellt hatten. In dieser Stimmung, so dachte er, war sie fähig zu töten.
Ihr Herz schlug schnell, ihr Atem kam stoßweise. Die Spange, mit der sie ihr Haar hochgesteckt hatte, hatte sich gelöst und war zu Boden gefallen. Er strich ihr die wirren Strähnen aus dem Gesicht, als sie schließlich zu ihm aufsah mit jenem Funken Unberechenbarkeit im Blick, der ihn von jeher fasziniert hatte. Seine Finger verharrten zögernd auf ihrer Wange. Sie rührte sich nicht. Er beugte sich vor, spürte ihren Atem, ihre Lippen strichen übereinander, berührten sich flüchtig, im spielerischen Tanz, wieder und immer wieder, als hätten sie einander vermisst und müssten sich nun erzählen von all den einsamen Jahren. Caroline schlang ihre Arme um seinen Hals, er spürte ihre Hände in seinem Nacken, und was eben noch Spiel war, wurde ernst, wurde nah, wurde gefährlich. Atemlos ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. Sie lehnte an der Wand, sah zu Boden und fuhr sich mit einem Finger über ihre Lippen, hing der Berührung nach, und er kämpfte gegen die Versuchung, die in diesem Anblick lag.
21.
S ie wünschte, sie hätte den Whiskey nicht so heruntergestürzt. Sie vertrug nicht viel, auch wenn sie Ulf das gern glauben gemacht hätte. Seine zur Schau gestellte Überlegenheit hatte sie wütend gemacht. Was wusste er
Weitere Kostenlose Bücher